Prüfungswissen: Der Putativnotwehrexzess

Hinweis: Einführung zu der Entscheidungsbesprechung: Erforderlichkeit einer Verteidigungshandlung bei Angriffsintensivierung (BGH NStZ 2011, 630) (BGH; Beschluss vom 01.03.2011 – 3 StR 450/10). Die Entscheidungsbesprechung wird heute mittag veröffentlicht.

I. Nach § 33 StGB bleibt derjenige, die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschreitet, straffrei.
Erfasst ist damit nur der intensive Notwehrexzess, d. h. der Fall, in dem die Abwehrhandlung des Täters gegenüber einem wirklichen rechtswidrigen Angriff die Grenzen der Erforderlichkeit überschreitet (h. M., z. B. BGH NStZ 1983, 453; BGH NStZ 1987, 20; Lackner, StGB, 16. Aufl., § 33 Anm. 2).
Strafbefreiung nach § 33 StGB ist aber auch dann noch möglich, wenn bei der das erforderliche Maß über-schreitenden Notwehrhandlung die Intensität des Angriffs bereits nachgelassen hat oder die unmittelbare Wiederholung des Angriffs zu befürchten ist (BGH NJW NStZ 1987, 20).
Dabei kommt es nicht darauf an, ob die in § 33 StGB genannten Affekte ein Ausmaß erreicht haben, das zu einer wesentlichen Verkennung der tatsächlichen Umstände hätte führen können.
Hat der Verteidiger sich über das Ausmaß einer von einem rechtswidrigen Angreifer drohenden Gefahr oder das zu ihrer Beseitigung erforderliche Mittel infolge einer auf tatsächlichem Gebiet liegenden Fehlvorstellung geirrt, so kommt ein nach § 16 I StGB exkulpierender Irrtum über Tatumstände in Betracht, und zwar unabhängig davon, auf welchen Gründen er beruht.

II. Ein Putativnotwehrexzess ist hingegen dann gegeben, wenn jemand sich irrtümlich einen rechtswidrigen Angriff vorstellt und dabei aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken mit seiner „Abwehrhandlung“ die Grenzen der erforderlichen Verteidigung überschreitet, die ihm bei bestehender Notwehrlage erlaubt gewesen wäre.

III. Der Putativnotwehrexzess und der Erlaubnistatbestandsirrtum überschneiden sich zwar, eine klare Abgrenzung ist aber im Hinblick auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen erforderlich: Der Erlaubnistatbestandsirrtum entlastet nach h. M. vom Vorsatzunrecht, während der Putativnotwehrexzess unbeachtlich ist. Die Regelung des § 33 StGB ist keine typisierte Erlaubnistatbestandsregelung (a. A.: Frister, Die Struktur des „voluntativen Schuldelements“, 1993, 229).
1. Anders als beim extensiven Notwehrexzess ergibt sich beim Putativnotwehrexzess bereits aus dem Wortlaut und aus dem Gesetzeszusammenhang, dass es sich nicht um einen Anwendungsfall des § 33 StGB handelt, denn es liegt keine Notwehr vor und es hat auch nie eine Notwehrlage bestanden, so dass der Bereich der gerechtfertigter Abwehrhandlung auch nicht überschritten werden kann. Es wäre nicht nachzuvollziehen, wenn eine vermeidbare Putativnotwehr strafbar wäre, ihre schuldhafte Überschreitung aber straffrei bliebe (Roxin, FS Schaffstein 1975, 105, 119; Roxin AT/I § 22 Rn 95).
2. Nicht entschuldigt ist also, wer im asthenischen Affekt unbeteiligte Dritte verletzt (BGH NStZ 2002, 141; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 33 Rn 10), denn die Regelung des § 33 StGB ist auf diesen Fall weder direkt noch analog anwendbar. Bereits dem Wortlaut der Vorschrift ist für die Behandlung solcher Konstellationen nichts zu entnehmen. Gleichwohl folgt aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift, dass in diesen Fällen eine Entschuldigung nicht durchgreifen kann, denn der Exzess trifft einen unbeteiligten Dritten, der am Konflikt keine Schuld trägt (MüKo-StGB/Erb, § 33 Rn 25 m. w. Nachw.). Die Drittwirkung kann im Einzelfall daher allenfalls nach § 34 StGB gerechtfertigt bzw. nach § 35 StGB entschuldigt sein.

Veröffentlicht in der Zeitschriftenauswertung (ZA) Dezember 2011