Prüfungswissen: Beschränkung des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafprozess

Hinweis: Einführung zu der Entscheidungsbesprechung: Ausschluss der Öffentlichkeit bei Schlussanträgen (BGH, Beschluss vom 12.11.2015 − 2 StR 311/15) Die Entscheidungsbesprechung wird heute mittag veröffentlicht.

Prüfungswissen: Beschränkung des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafprozess

I. Allgemeines
Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist ein Verfahrensgrundsatz. Nach § 169 S. 1 GVG sind Verhandlungen grundsätzlich öffentlich, das Öffentlichkeitsprinzip ist für das Strafverfahren auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 6 I 1) verankert. Da der Grundsatz von Gesetzes wegen einigen Ausnahmen und Einschränkungen unterliegt und in der Praxis durch gegebene räumliche Kapazitäten beschränkt wird, befasst sich die höchstrichterliche Rechtsprechung regelmäßig mit der Maxime. Gerade in Verfahren mit medialer Aufmerksamkeit entzündet sich regelmäßig Streit an der Frage, ob die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens eingehalten wurden bzw. unzulässigerweise beschränkt wurden. Die Häufigkeit, mit der sich Obergerichte mit geltend gemachten Verstößen gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz befassen, ist ein Beleg für die Fehleranfälligkeit dieser Materie.

II. Sinn und Zweck des Öffentlichkeitsgrundsatzes
Sinn und Zweck ist in erster Linie die Kontrolle des Verfahrensgangs durch die Allgemeinheit. Die garantierte Öffentlichkeit des Verfahrens schützt die Rechtsunterworfenen vor einer Geheimjustiz, die sich öffentlicher Kontrolle entzieht. Es handelt sich um ein wichtiges demokratisches Prinzip im deutschen Recht, welches besagt, dass die Verhandlung als auch die Urteilsverkündung öffentlich zugänglich sein müssen. Öffentlich ist eine Verhandlung nur dann, wenn die Allgemeinheit, d.h. beliebige, auch unbeteiligte, Zuhörer, an der Hauptverhandlung teilnehmen können, falls sie es wünschen.

III. Ausnahmen
§ 171 a–174 GVG normieren Ausnahmen vom Öffentlichkeitsgrundsatz, wobei diese Vorschriften aber die Gründe für einen zulässigen Öffentlichkeitsausschluss nicht erschöpfend aufzählen. So soll etwa die Intimsphäre des Beschuldigten geschützt werden bei Strafsachen, wenn das Verfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt, allein oder neben einer Strafe, zum Gegenstand hat. Ferner soll die Öffentlichkeit gem. § 171 b GVG ausgeschlossen werden, soweit in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174–184 g StGB) oder gegen das Leben (§§ 211–222 StGB), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232–233 a StGB ein Zeuge unter 18 Jahren vernommen wird. Die Öffentlichkeit für einen Teil davon kann gem. § 172 GVG auch ausgeschlossen werden, wenn eine Gefährdung der Staatssicherheit, der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit zu besorgen ist, eine Gefährdung des Lebens, des Leibes oder der Freiheit eines Zeugen oder einer anderen Person zu besorgen ist, ein wichtiges Geschäfts-, Betriebs-, Erfindungs- oder Steuergeheimnis zur Sprache kommt, durch dessen öffentliche Erörterung überwiegende schutzwürdige Interessen verletzt würden, ein privates Geheimnis erörtert wird, dessen unbefugte Offenbarung durch den Zeugen oder Sachverständigen mit Strafe bedroht ist, oder eine Person unter 18 Jahren vernommen wird.
Das Jugendgerichtsgesetz normiert in § 48 I JGG, dass die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Entscheidungen nicht öffentlich ist. Richtet sich das Verfahren auch gegen Heranwachsende oder Erwachsene, so ist die Verhandlung öffentlich, § 48 III JGG, allerdings kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Erziehung jugendlicher Angeklagter geboten ist.

Veröffentlicht in der Zeitschriftenauswertung (ZA) Juni 2016