Prüfungswissen: Die Garantie effektiven Rechtsschutzes, Art. 19 IV GG

Hinweis: Einführung zu der Entscheidungsbesprechung: Eilrechtsschutz gegen anstaltsinterne Verlegung ( BVerfG; Beschluss vom 29.05.2015 – 2 BvR 869/(15). Die Entscheidungsbesprechung  wird heute nachmittag veröffentlicht.

Prüfungswissen: Die Garantie effektiven Rechtsschutzes, Art. 19 IV GG

Durch die grundgesetzlichen Gewährleistungen ist der Bürger vor unzulässigen Eingriffen in seine Rechte nur dann effektiv geschützt, wenn er die Beachtung seiner Rechte auch vor einem Gericht einklagen kann. Art. 19 IV GG bezieht sich auch auf die Prüfung der Verletzung einfachgesetzlicher Normen. Anderenfalls wären die Grundrechte leere Formeln ohne praktische Bedeutung. Insofern ist Art. 19 IV GG sowohl ein formelles Grundrecht als auch ein Verfahrensgrundrecht. Es bietet einen lückenlosen gerichtlichen Rechtsschutz vor staatlichen Maßnahmen. Der Rechtsweg ist gewährleistet gegen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt, die eine Rechtsverletzung herbeiführen können. Von dieser Gewährleistung ist nicht das Recht umfasst, wegen einer vermeintlichen Grundrechtsverletzung das Bundesverfassungsgericht anrufen zu können. Diese Möglichkeit wird von Art. 93 I Nr. 4a GG als Spezialnorm ausdrücklich geregelt und unterfällt der Rechtsschutzgarantie nicht.

I. Maßnahme der öffentlichen Gewalt
Unter den Begriff der öffentlichen Gewalt fallen die drei Staatsgewalten Fraglich ist, ob dieser Begriff auch im Rahmen des Art. 19 IV GG gilt.

1. Exekutive
Der Schutz gegen Maßnahmen der Exekutive als der Gewalt, die Gesetze ausführt, ist ohne weiteres gegeben.

2. Judikative
Es ist zweifelhaft, ob Art. 19 IV GG nicht nur den Schutz durch den Richter gewährleistet, sondern auch gegen Entscheidungen des Richters. Dies ist nach nahezu einhelliger Auffassung jedoch nicht der Fall. Diese Auslegung berücksichtigt das Erfordernis der Rechtssicherheit. Wäre gegen jede richterliche Entscheidung wegen Art. 19 IV GG immer und immer wieder eine gerichtliche Prüfung möglich, könnte nie von einer Bestandskraft ausgegangen werden und Rechtssicherheit würde nicht mehr bestehen (BVerfG 15, 280; 65, 90; BVerfG NJW 2003, 3687).

3. Legislative
Die gerichtliche Überprüfung von Gesetzen durch die abstrakte und konkrete Normenkontrolle ist in Art. 93 GG ausdrücklich geregelt. Danach steht es grundsätzlich nicht in der Macht des Einzelnen unabhängig von einer konkreten Rechtsverletzung die Prüfung eines formellen Gesetzes zu veranlassen. Die Gesetzgebung durch das Parlament ist damit vom Schutzbereich des Art. 19 IV GG ausgenommen.

II. Begriff des Rechtsweges
Die Rechtsweggarantie umfasst den Zugang zum Gericht, das Verfahren vor dem Gericht und die Entscheidung durch das Gericht. Hierbei muss es sich um ein staatliches Gericht handeln, das den Anforderungen an Art. 92 und 97 GG genügt. Allerdings ist verbürgt nur der einmalige Zugang zum Gericht, hingegen ist der Gesetzgeber nicht verpflichtet, einen mehrstufigen Instanzenzug zur Verfügung zu stellen. Art. 19 IV GG garantiert darüber hinaus aber nicht nur, dass sich ein Gericht überhaupt mit der Angelegenheit befasst, sondern erforderlich ist vielmehr die Zurverfügungstellung effektiver Rechtsschutzmöglichkeiten, die vom Betroffenen tatsächlich in Anspruch genommen werden können und nicht nach unangemessen langer Zeit zu einer Entscheidung führen.

III. Abgrenzung zwischen Eingriff und Ausgestaltung
1. Vorschriften über die Ausgestaltung des Rechtsweges

Die Ausgestaltung des Rechtswegs durch den Gesetzgeber allein vermag noch keinen Eingriff in Art. 19 IV GG zu begründen. Die Rechtsschutzgarantie gilt daher nur im Rahmen der Prozessrechtsgesetze. So ist z.B. das Erfordernis der Prozessfähigkeit, der Anwaltszwang oder auch die Fristbindung von Anträgen für sich allein genommen kein Eingriff in Art. 19 IV GG, sondern eine Ausgestaltung des grundrechtlichen Bereichs.

2. Erschwerung des Zugangs oder des Verfahrens
Nicht jede Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten bzw. des Verfahrens stellt einen Eingriff in Art. 19 IV GG dar. Vielmehr ist ein Eingriff nur dann anzunehmen, wenn diese Erschwerung unangemessen ist.

3. Präklusionsvorschriften
Vorschriften, die bestimmte Rechtschutzmöglichkeiten ausschließen, sind keine Eingriffe in die Rechtsweggarantie, sondern Ausformungen des materiellen subjektiven Rechts, das von Art. 19 IV GG vorausgesetzt wird. Gleichwohl sind diese Vorschriften an dem Grundrecht des Art. 19 IV GG zu messen, da auch eine unangemessene Einschränkung des dem Gerichtsverfahren vorgelagerten Verwaltungsverfahrens zu Erschwerungen des Rechtsschutzes führen können, die ihrerseits an Art. 19 IV GG zu messen sind.

4. Eingriff
Eingriff ist damit nur die über die Ausgestaltung hinausgehende Regelung des Rechtswegs, die durch die Funktionsbedingungen der Rechtspflege und dem Erfordernis der Rechtssicherheit nicht mehr geboten ist.

IV. Eingriffsrechtfertigung
Grundsätzlich ist die Rechtsweggarantie vorbehaltlos gewährleistet. Wie auch sonst findet die Berufung auf Art. 19 IV GG jedoch ihre Grenze im kollidierenden Verfassungsrecht.
Da ein Eingriff in Abgrenzung zur Ausgestaltung nur dann anzunehmen ist, wenn die Maßnahme durch Gründe Rechtspflege und Rechtssicherheit nicht mehr gedeckt ist, scheidet bei Vorliegen eines Eingriffs eine Beschränkung des Gewährleistungsbereiches unter Hinweis auf die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und dem Erfordernis nach Rechtssicherheit aus. Andere kollidierende Verfassungsrechte kommen als Einschränkungen des Art. 19 IV GG nicht in Betracht. Dies führt dazu, dass jeder Eingriff in Art. 19 IV GG verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen und damit verfassungswidrig ist.

V. Rechtsverletzung
Eine Berufung auf Art. 19 IV GG ist nur dann möglich, wenn subjektive Rechte des Verfahrensführers betroffen sind, wobei hierunter sowohl die privaten als auch die öffentlichen Rechte fallen, soweit diese auch dem Schutz des Betroffenen dienen.
Eine Rechtsverletzung liegt in einem rechtswidrigen Eingriff in diese Rechte. Allerdings besteht die Garantie effektiven Rechtsschutzes nicht erst dann, wenn die Verletzung tatsächlich feststeht, sondern bereits dann, wenn sie geltend gemacht, also nach dem Vortrag vorliegen kann (vgl. § 42 II VwGO).

 Veröffentlicht in der Zeitschriftenauswertung (ZA) Januar 2016