Prüfungswissen: Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 VwGO

Hinweis: Einführung zu der Entscheidungsbesprechung: Abgrenzung öffentlich-rechtlicher und bürgerlich-rechtlicher Streitigkeiten (OVG Münster; Beschluss vom 11.01.2016 – 6 E 856/15) Die Entscheidungsbesprechung wird heute mittag veröffentlicht.

Prüfungswissen: Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 VwGO

Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist eröffnet, wenn keine aufdrängende Sonderzuweisung vorliegt, eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben ist und der Streit nicht durch eine abdrängende Sonderzuweisung einer anderen Gerichtsbarkeit zugewiesen ist.

I. Aufdrängende Sonderzuweisung
Eine aufdrängende Sonderzuweisung liegt vor, wenn eine Streitigkeit unabhängig von ihrer Rechtsnatur durch eine gesetzliche Regelung der Entscheidung durch die Verwaltungsgerichte unterliegt. Auf die Prüfung des Vorliegens einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art kommt es dann nicht an, so dass diese zu unterbleiben hat.
Beispiele für aufdrängende Sonderzuweisungen sind:

II. Öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art

1. Öffentlich rechtliche Streitigkeit
Die Einordnung einer Streitigkeit richtet sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt danach vor, wenn das Klagebegehren nach öffentlichem Recht zu beurteilen ist. Die maßgeblichen Rechtsvorschriften sind dann dem öffentlichen Recht zuzurechnen, wenn sie sich nicht an jedermann richten, sondern vorrangig einem Träger öffentlicher Gewalt für die Ausübung seiner Pflichten zugeordnet sind
(sog. modifizierte Subjektstheorie). Es ist daher zunächst festzustellen, worum es in dem Rechtsstreit geht und nach welchen Normen sich diese Fragen beurteilen, damit dann eine Einordnung vorgenommen werden kann.
Nur wenn die modifizierte Subjektstheorie nicht greift, kann hilfsweise die Subordinationstheorie herangezogen werden, nachdem ein Verhältnis öffentlich-rechtlich ist, wenn über und Behörde sich in einem Über-Unterordnungsverhältnis gegenüberstehen, der Staat also Hoheitsmacht gegenüber dem Bürger ausübt.
Schließlich gibt es zahlreiche Fälle, in denen nach sonstigen Kriterien eine Abgrenzung vorzunehmen ist.

  • Subventionsverhältnis
    – Einstufige Subventionsgewährung:
    Es erfolgen nur der Rechtsakt der Bewilligung und der Realakt der Auskehrung (z.B. verlorener Zuschuss). Der Rechtsakt ist immer öffentlich-rechtlich.
    –  Zweistufige Subventionsgewährung (Zweistufentheorie)
    Die Entscheidung über die Gewährung der Subvention ist immer öffentlich-rechtlich (1. Stufe: „Ob“). Die Durchführung der Subventionierung (2. Stufe: „Wie“) ist nicht zwingend, aber regelmäßig zivilrechtlich ausgestaltet (z.B. Darlehensvertrag, Bürgschaft, Kaufvertrag).
  • Ehrverletzende/geschäftsschädigende Äußerungen
    Es kommt auf den Funktionszusammenhang an, in welchem diese getätigt wurden.
  • Teilnahme der öffentlichen Hand am Straßenverkehr
    Es kommt nach h.M. auf den Sachzusammenhang der Fahrt und deren Zielsetzung an.
  • Erstattungsanspruch
    Bei Ansprüchen auf Erstattung von Zahlungen kommt es nach der Kehrseitentheorie darauf an, ob die Leistungsgewährung öffentlich-rechtlich erfolgt ist.
  • Benutzungsverhältnis (Zweistufentheorie)
    Geht um die Zulassung zur Benutzung einer öffentlichen Einrichtung (1. Stufe: „Ob“), so ist dies stets öffentlich-rechtlich. Bei der Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses (2. Stufe: „Wie“) ist hingegen zu differenzieren, ob die Einrichtung öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich organisiert ist.

2. Nichtverfassungsrechtlicher Art
Nach der Theorie der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit ist eine Streitigkeit nur dann im Sinne des § 40 I 1 VwGO verfassungsrechtlich, wenn Verfassungs-organe um Verfassungsrecht streiten.

III. Abdrängende Sonderzuweisung
Trotz Vorliegens einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art kann gleichwohl der Verwaltungsrechtweg nicht eröffnet sein. Dies ist dann der Fall, wenn der Gesetzgeber den Rechtsstreit einem anderen Gericht zur Entscheidung zugewiesen hat.
Hierzu gehören zunächst die Zuweisungen an die Gerichte der besonderen „Verwaltungsgerichtsbarkeit“, also an das Sozialgericht (§ 51 SGG) und das Finanzgericht (§ 33 FGO). Weitere relevante abdrängende Sonderzuweisungen sind: § 23 EGGVG für Justizverwaltungsakte und Art. 14 III 4 GG für die Enteignungsentschädigung.
Von besonderer Bedeutung sind jedoch die Zuweisungen an die ordentlichen Gerichte, die insbesondere in § 40 II 1 VwGO verankert sind.
Danach sind die ordentlichen Gerichte zuständig für

  • Ansprüche aus Aufopferung
  • Ansprüche aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung
  • Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten (insbesondere Amtshaftungsansprüche nach Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB und Sekundäransprüche aus öffentlich-rechtlichem Schuldverhältnis (str., soweit nicht Verwahrung)

Veröffentlicht in der Zeitschriftenauswertung (ZA) Juli 2016