Repetitorium zum Verfassungsrecht – Fall 3: Der Hüter der Verfassung – Aufgabe

Dieser Fall beschäftigt sich mit Fragen der Gesetzgebungskompetenzen und des Gesetzgebungsverfahrens eingekleidet in eine abstrakte Normenkontrolle. Materiell-rechtlich geht es um den Aufbau einer Grundrechtsprüfung sowie die Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 I GG und die Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 IV GG.

Die Lösung zu diesem Fall wird am 27.02.2017 zur Verfügung gestellt!

Den größten Lerneffekt erzielt Ihr, wenn Ihr erstmal versucht, den Fall durchzulösen, um dann mit der Lösung den Lernerfolg zu überprüfen und Lücken zu schließen. 

Fall 3: Der Hüter der Verfassung

Die R-Fraktion im Deutschen Bundestag fühlt sich berufen, der Verfassung größere Geltung im Rechtsalltag zu verschaffen und gleichzeitig eine verfassungsrechtliche Kontrolle zu vereinfachen. Daher bringt sie einen Gesetzesentwurf in den Bundestag ein, der sich mit der Schaffung eines „Verfassungshüters“ befasst. Der Text ist nachstehend auszugsweise wiedergegeben. Zur Begründung führt sie insbesondere an:

Der effektive Rechtsschutz sei wegen der langen Verfahrensdauer in allen Verwaltungsgerichtsbarkeiten aufgrund der Überlastung der Gerichte nicht mehr gewährleistet. Eine verfassungsrechtliche Kontrolle könne ohne ein in starre Regelungen gepresstes Verfahren besser gewährleistet werden. Notwendig sei eine unbürokratische Hilfe für Fragen von Grundrechtsrelevanz. Um ein solches Verfahren für den Bürger interessant zu machen, sei die Kostenfreiheit vorgesehen. Darüber hinaus sei die Tätigkeit des Verfassungshüters nicht auf eine Prüfung im Einzelfall beschränkt, sondern könne auch rechtsverletzenden komplexen Sachverhalten nachgehen, ohne an eine Einleitung des Verfahrens von außen gebunden zu sein.

Nachdem die R-Fraktion den Gesetzesentwurf im Bundestag vorgestellt hat, steigt dieser nicht in Beratungen ein, sondern bittet zunächst den Rechtsausschuss um eine umfassende gutachterliche Stellungnahme zur Rechtmäßigkeit des Entwurfs sowohl unter formellen als auch unter materiellen Gesichtspunkten.

Bitte fertigen Sie ein entsprechendes Gutachten, in dem zu allen rechtlichen Gesichtspunkten Stellung genommen wird.

Abwandlung:

Der Rechtsausschuss kommt zu dem Ergebnis, dass der Entwurf verfassungswidrig ist. Daraufhin beschließt der Bundestag, die Beratungen über den Entwurf nicht fortzuführen und stellt das Gesetzgebungsverfahren ein. Hiermit ist die R-Fraktion nicht einverstanden und möchte vor dem Bundesverfassungsgericht gegen diese Entscheidung vorgehen. Hat ein solcher Antrag Aussicht auf Erfolg?

Anhang

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Verfassungshüters

§ 1 Aufgaben des Verfassungshüters

(1) Der Verfassungshüter hat über die Einhaltung der Grundrechte zu wachen.
(2) Zu diesem Zwecke wird er auf eigene Veranlassung oder auf Antrag tätig, wenn Grundrechte verletzt sein könnten.
(3) Einmal jährlich hat ein schriftlicher Gesamtbericht über die Tätigkeit an den Bundestag und den Bundesrat zu erfolgen.

§ 2 Wahl des Verfassungshüters

(1) Die Wahl des Verfassungshüters erfolgt durch den Bundesrat. Vorschlagsberechtigt ist der Bundestag. Erforderlich ist eine Zweidrittelmehrheit.
(2) Der Verfassungshüter muss die Befähigung zum Richteramt besitzen.
(3) Die Amtszeit beträgt sieben Jahre. Wiederwahl ist zulässig.
(4) Der Verfassungshüter ist unabhängig und nur an das Gesetz gebunden.

§ 3 Wahrnehmung der Aufgaben

Der Verfassungshüter muss nicht alle Prüfungen selbst vornehmen, ihm wird vielmehr die notwendige Anzahl von Bediensteten zur Seite gestellt.

§ 4 Antragstellung

(1) Jedermann kann sich an den Verfassungshüter mit dem Antrag richten, er sei durch die Verwaltung in seinen Grundrechten oder in einem der in den Art 33, 38, 101, 103 und 104 GG verankerten Rechte verletzt.
(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn zuvor ein entsprechendes Widerspruchsverfahren durchgeführt wurde.
(3) Unabhängig von den Voraussetzungen des Abs. 1 und 2 kann sich jeder an den Verfassungshüter mit der Behauptung wenden, es läge eine gravierende Verletzung der in Abs. 1 genannten Rechte vor.

§ 5 Verfahren

(1) Auf Antrag oder aus eigener Veranlassung prüft der Verfassungshüter die Verfassungsmäßigkeit der beanstandeten Maßnahme und nimmt dann zur Frage der Verletzung der in § 4 Abs.1 genannten Rechte Stellung. Diese Stellungnahme ist sowohl dem Antragsteller als auch der beteiligten Behörde zu übersenden. Liegt ein Verfassungsverstoß vor, so empfiehlt der Verfassungshüter die zur Beseitigung erforderlichen Maßnahmen.
(2) Für das Prüfungsverfahren sind die Vorschriften über die Beweiserhebung gem. §§ 95 – 100 VwGO entsprechend anwendbar.
(3) Hält der Verfassungshüter eine mündliche Verhandlung für erforderlich, so findet diese statt. Anderenfalls ist sie entbehrlich.
(4) Dem Antragsteller entstehen durch das Verfahren keine Kosten.

§ 6 Rechtsweg

(1) In den Fällen des § 4 Abs. 1 ist neben dem Antrag an den Verfassungshüter der ansonsten gegen die Rechtsverletzung eröffnete Rechtsweg ausgeschlossen.
(2) Auf die Möglichkeit der Antragstellung nach § 4 Abs. 1 und den dadurch bedingten Ausschluss des sonstigen Rechtsweges bei Antragstellung ist ab Inkrafttreten dieses Gesetzes in Rechtsmittelbelehrungen aller Verwaltungsakte hinzuweisen. Dies gilt insbesondere für den Umstand, dass der Verfassungshüter keine verbindliche Entscheidung trifft, sondern lediglich Empfehlungen ausspricht.
(3) Gegen das Ergebnis der Prüfung durch den Verfassungshüter kann nur geltend gemacht werden, dass die Vorschriften dieses Gesetzes nicht eingehalten wurden. Die entsprechende Klage ist abhängig von Streitgegenstand beim Bundesverwaltungsgericht, beim Bundesfinanzhof oder beim Bundessozialgericht zu erheben.