Prüfungswissen: Der Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 103 I GG

I. Begriff
Rechtliches Gehör bedeutet, dass der Betroffene vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung grundsätzlich die Gelegenheit haben muss, sich mündlich oder schriftlich zu der Angelegenheit zu äußern. Zur Gewährleistung eines effektiven Grundrechtschutzes reicht es nicht aus, wenn der Betroffene nach Art. 19 IV GG einen Anspruch darauf hat, dass sich ein Gericht mit seiner Angelegenheit beschäftigt. Erforderlich ist vielmehr, dass er auch seine Auffassung zu der Sache vortragen kann

II. Schutzbereich
Der Betroffene muss Gelegenheit erhalten, sich rechtlich und tatsächlich vor Fällen einer Entscheidung zur Sache zu äußern. Selbst bei Eilmaßnahmen ist dies notwendig, allerdings ist hier eine Nachholung möglich.
Das rechtliche Gehör setzt voraus, dass der Betroffene vollständig über den Verfahrensstoff informiert wird.
Dem Anspruch ist aber nicht genüge getan, wenn der Betroffene Gelegenheit erhalten hat sich zu äußern, erforderlich ist vielmehr auch, dass das Gericht das Vorbringen zur Kenntnis nimmt.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör gilt nur vor Gericht. Im Verwaltungsverfahren kann ein Anspruch auf rechtliches Gehör allenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip und der Menschen-würde hergeleitet werden. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist zwischenzeitlich auch verfahrensrechtlich weiter gesichert durch die Gehörsrüge des § 321a ZPO und die Anhörungsrüge nach § 152a VwGO.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör lässt sich in 3 Phasen unterteilen:

1. Recht auf Information
Hierzu gehört insbesondere die Kenntnis vom Vorbringen der Gegenseite und Akteneinsicht

2. Recht auf Äußerung
Der Betroffene muss Gelegenheit zu mindestens schriftlicher Äußerung haben. Hierzu zählt auch das Recht, einen Rechtsanwalt zum Verfahren beizuziehen und zu bevollmächtigen. Insbesondere hat der Angeklagte im Strafverfahren einen Anspruch drauf, sich von einem gewählten Verteidiger seines Vertrauens vertreten zu lassen.

3. Recht auf Berücksichtigung
Das Vorbringen muss von den Richtern auch zur Kenntnis genommen wer-den, diese müssen also aufnahmefähig und aufnahmewillig sein. Darüber hinaus ist der Vortrag in der Begründung der Entscheidung zu berücksichtigen.

III. Eingriff
Ein Eingriff ist in jeder Abweichung von den gestellten Anforderungen zu sehen. Allerdings ist nicht jede verfahrensrechtliche Beschneidung der Möglichkeiten rechtlichen Gehörs ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 103 I GG.
Zulässig sind Beschränkungen, wenn sie für die Entscheidung unerheblich sind oder wenn das rechtliche Gehör nachgeholt wird.

IV. Rechtfertigung
Art. 103 I GG ist ein schrankenlos gewährleistetes Grundrecht. Es findet seine Schranken daher lediglich im kollidierenden Verfassungsrecht. Dieses kollidierende Verfassungsrecht ist jedoch bei der Ausgestaltung des Gerichtsverfahrens schon berücksichtigt, so dass über diesen Rahmen hinaus jeder Eingriff in den Schutzbereich zu einer Verletzung des Art. 103 I GG führt.

Veröffentlicht in der Zeitschriftenauswertung (ZA) Juli 2014