Gedächtnisprotokoll einer echten Klausur zum 2. Staatsexamen – Rheinland-Pfalz vom April 2016

Bei dem nachfolgenden Klausurprotokoll handelt es sich um das Gedächtnisprotokoll einer echten Klausur vom April 2016 im zweiten Staatsexamen in Rheinland-Pfalz. Das Protokoll stammt auf dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.

Prüfungsfach:  Öffentliches Recht

Gedächtnisprotokoll:

Kläger meldet eine unter ihm geleitete Versammlung unter dem Motto «Keine Straße, keine Stadt, kein Haus für Nazis» an. Anlass war das sogenannte «Braune Haus», das dort seinerzeit von Mitgliedern einer rechtsextremen Organisation bewohnt und als Zentrale genutzt wurde. Die Polizei setzte einen mit einer Kamera ausgestatteten Übertragungswagen ein, mit dem sie zur Lageorientierung Übersichtsaufnahmen der Versammlung anfertigte, die von der Kamera auf einen Monitor der Einsatzleitung übertragen, aber nicht aufgezeichnet und gespeichert wurden. An der Versammlung nahmen etwa 200 bis 300 Personen teil. Sie wurde als Aufzug durch verschiedene Straßen durchgeführt, verbunden mit einer Auftakt- und Schlusskundgebung sowie zwei Zwischenkundgebungen an der Aufzugsstrecke.
Im Kooperationsgespräch hatten Vertreter des Beklagten gegenüber dem Kläger erklärt, dass bei der Versammlung eine Bildübertragung ohne Aufzeichnung zur Einsatzsteuerung (Kamera-Monitor-Prinzip) erfolgen würde und sich etwaige erforderliche Dokumentationsmaßnahmen durch Videoaufnahmen in dem hierfür vorgesehenen gesetzlichen Rahmen bewegen würden. Während des Aufzugs wurde ein Übertragungswagen der Bereitschaftspolizei des Beklagten eingesetzt, der mit einer schwenkbaren Kamera ausgestattet ist. Nach den Angaben des Beklagten wurden mit diesem Wagen an sieben Punkten der Aufzugsstrecke, unter anderem während der vier stehenden Kundgebungen, Bilder hiervon in Echtzeit zur Lageorientierung des Polizeiführers in die Befehlsstelle nach dem Kamera-Monitor-Prinzip übertragen, das heißt ohne Aufzeichnung und Speicherung der Bildaufnahmen.
Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Feststellung, dass die polizeilichen Bildaufnahmen der Versammlung rechtswidrig waren. Zu Recht?
Fraglich ist, ob für die Anfertigung der Übersichtsaufnahme überhaupt eine hinreichende rechtliche Grundlage vorhanden ist.

1. Ermächtigung nach §§ 12, 19a VersG
Die Übersichtsaufnahmen könnten auf § 12, 19a VersG als Rechtsgrundlage gestützt werden. Nach § 12a II 1 VersG darf die Polizei Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Die Maßnahmen dürfen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden. Diese Regelung für Versammlungen in geschlossenen Räumen gilt gemäß § 19a VersG bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen entsprechend. Dann müsste aber eine solche erhebliche Gefahr feststellbar sein. Eine erhebliche Gefahr bedeutet eine Gefahr für gewichtige Rechtsgüter wie Leib und Leben.Tatsächliche Anhaltspunkte für eine solche von den Versammlungsteilnehmern ausgehende Gefahr sind weder vom Beklagten dargelegt worden noch sonst ersichtlich.

2. § 27 II 1 POG
Nach § 27 II 1POG kann die Polizei bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen, die nicht dem Versammlungsgesetz unterliegen, personenbezogene Daten von Teilnehmern durch den offenen Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bild- und Tonaufzeichnungen erheben, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Gefahren für die öffentliche Sicherheit entstehen, insbesondere Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung begangen werden.Da es hier jedoch um eine Veranstaltung geht, die ohne weiteres dem Versammlungsgesetz unterliegt, kann § 27 II 1 POG nicht als Ermächtigungsgrundlage herangezogen werden.

3. § 9 POG
Aufgrund der Allgemeinheit dieser Ermächtigungsgrundlage kann die polizeiliche Generalklausel für Maßnahmen, die gegen eine Versammlung gerichtet sind nicht herangezogen werden.

4. Entbehrlichkeit
Möglicher Weise ist aber eine gesonderte gesetzliche Grundlage für die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen in Echtzeitübertragung durch die Polizei, die nicht aufgezeichnet und gespeichert werden, entbehrlich. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 II GG einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Eine gesetzliche Grundlage kann daher nur entbehrlich sein, wenn die Anfertigung der Übersichtsaufnahmen ohne Speicherung keine Beschränkung der Versammlungsfreiheit darstellen würde.

a) Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 GG durch Übersichtsaufnahmen
Übersichtsaufnahmen ohne Aufzeichnung sind geeignet, eine einschüchternde Wirkung auf Versammlungsteilnehmer zu entfalten und sie in ihrer Grundrechtsausübung zu beeinflussen oder sogar von ihr abzuhalten. Der einzelne Versammlungsteilnehmer kann regelmäßig nicht erkennen, ob eine auf die Versammlung gerichtete Kamera lediglich in Echtzeit Bilder auf einen Monitor überträgt oder aber zeitgleich darüber hinaus die Aufnahme aufgezeichnet und gespeichert wird. Wer damit rechnet, dass die Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert wird und ihm dadurch persönliche Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf die Ausübung seines Grundrechts verzichten.

5. Ergebnis
Nach alledem bedurfte die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen der Versammlung des Klägers wegen des damit verbundenen Eingriffs in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit einer gesetzlichen Grundlage. Eine solche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage besteht in Rheinland-Pfalz im Gegensatz zu mehreren anderen Bundesländern jedoch nicht. Die Maßnahme war daher rechtswidrig.

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