Prüfungswissen: Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO

18Hinweis: Einführung zu der Entscheidungsbesprechung: Bemessung der Sicherheit zur Abwendung der Zwangsvollstreckung (BGH; Beschluss vom 13.11.2014 – VII ZB 16/13). Die Entscheidungsbesprechung wird heute mittag veröffentlicht.

Prüfungswissen: Die Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO

I. Allgemeines
In den Fällen des § 708 Nr. 4-11 ZPO (s.o. lit. b) – lit. t)) hat das Gericht nach § 711 ZPO auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. Der Schuldner, der nicht von vornherein durch eine vom Gericht angeordnete Sicherheitsleistung des Gläubigers geschützt wird, hat die Möglichkeit, die Vollstreckung dadurch zu verhindern, dass er hinsichtlich des zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet, solange nicht die „Gegensicherheit“ des Gläubigers vorliegt. Leistet der Schuldner die Sicherheit, hat der Gläubiger grundsätzlich kein schutzwürdiges Interesse daran, vor Eintritt der Rechtskraft gegen den Schuldner ohne Sicherheitsleistung zu vollstrecken, weil die Realisierung seines Anspruchs nicht mehr gefährdet ist. Er kann aber gleichwohl seinerseits Sicherheit leisten und dann noch gegen den Schuldner vollstrecken. Der Schuldner kann also nur die Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung des Gläubigers verhindern, nicht die Vollstreckung selbst.

Die Sicherheit kann der Höhe nach festgelegt werden. Allerdings ist es nach §§ 711 S. 2, 709 S. 2 ZPO bei der Vollstreckung wegen einer Geldforderung auch möglich, eine verhältnismäßige Sicherheit festzulegen, d.h. die Höhe der Sicherheitsleistung von der Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abhängig zu machen.

Eine Abwendungsbefugnis wird dem Schuldner nach § 713 ZPO nur dann nicht eingeräumt, wenn ein Rechtsmittel gegen das Urteil nach pflichtgemäßer Prüfung durch das Gericht unzweifelhaft nicht zulässig ist (Baumbach/Hartmann, § 713, Rn. 2).

II. Art der Sicherheitsleistung
Wie Sicherheit geleistet werden kann, ist in § 108 ZPO geregelt. Danach kann das Gericht nach freiem Ermessen bestimmen, in welcher Art und Höhe die Sicherheit zu leisten ist. Trifft das Gericht, wie regelmäßig, keine entsprechende Bestimmung und haben auch die Parteien keine entsprechende Vereinbarung getroffen, kann Sicherheit geleistet werden durch:

–  die schriftliche, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts

–  durch Hinterlegung von Geld

–  durch Hinterlegung von solchen Wertpapieren, die nach § 234 I, III BGB zur Sicherheitsleistung geeignet sind. Dies sind nur solche Wertpapiere, die auf den Inhaber lauten, einen Kurswert haben und einer Gattung angehören, in der Mündelgeld angelegt werden darf. Den Inhaberpapieren stehen Orderpapiere gleich, die mit Blankoindossament versehen sind. Allerdings kann mit Wertpapieren Sicherheit nur in Höhe von ¾ des Kurswerts geleistet werden.

Allerdings ist auch eine Bürgschaft durch einen nach § 239 BGB auch tauglichen Bürgen möglich. Bei Hinterlegung von Geld oder Wertpapieren hat der Sicherheit Leistende gem. § 108 II ZPO i.V.m. § 235 BGB die Möglichkeit, die eine durch die jeweils andere Sicherheit umzutauschen.

III. Höhe der Sicherheitsleistung
Die Höhe der Sicherheitsleistung bestimmt das Gericht gem. § 108 ZPO nach freiem
Ermessen. Bei der Festlegung der Höhe ist der Zweck einer Sicherheitsleistung maßgeblich.

Vor diesem Hintergrund sind auch verschieden hohe Sicherheitsleistungen für Schuldner und Gläubiger möglich. Hierbei kommt es hinsichtlich der Sicherheitsleistung des Schuldners darauf an, welche Nachteile dem Gläubiger dadurch entstehen, dass er erst ab Rechtskraft vollstrecken kann. Hinsichtlich der Sicherheitsleistung des Gläubigers ist maßgeblich, welcher Schaden dem Schuldner durch die vorzeitige Vollstreckung
entstehen kann.

Hierbei sind neben der Hauptforderung auch die Zinsen (h.M.: bis zur Entscheidung + ½ Jahr nach Urteilsverkündung), außergerichtliche Kosten (insb. Kosten nach RVG) und Gerichtskosten zu berücksichtigen.

IV. Wirkungen der Abwendungsbefugnis
Leistet der Schuldner die Sicherheit nicht, ist die Zwangsvollstreckung nicht gehindert. Erfolgt die Sicherheitsleistung des Schuldners, ist die Zwangsvollstreckung unzulässig, solange der Gläubiger nicht seinerseits ebenfalls Sicherheit leistet. Ist die Vollstreckung bei Sicherheitsleistung durch den Schuldner bereits eingeleitet, so muss sie gem. § 775 Nr. 3, 776 ZPO eingestellt werden.

Erbringt der Gläubiger vor der Vollstreckung seinerseits die Sicherheitsleistung, so darf er vollstrecken und ist dabei nicht auf die Sicherungsvollstreckung nach § 720a ZPO beschränkt. Ist die Sicherheitsleistung durch den Schuldner schon zuvor erfolgt, kann dieser Rückgabe seiner Sicherheit gem. § 109 ZPO verlangen (Thomas/Putzo, § 711, Rn. 5).

Der Schuldner kann die Vollstreckung dann nur noch über einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO abwenden, wenn er glaubhaft macht, dass die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und er dies vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, beantragt (§ 714 ZPO). Dies unterbleibt nach § 713 ZPO nur dann, wenn ein Rechtsmittel gegen das Urteil nach pflichtgemäßer Prüfung durch das Gericht unzweifelhaft nicht zulässig ist (Baumbach/Hartmann, § 713, Rn. 2).

Kann der Gläubiger die Sicherheit nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten leisten, so kann das Gericht dem Gläubiger gem. §§ 711 S. 3, 710 ZPO trotz der Sicherheitsleistung des Schuldners die Vollstreckung gestatten, wenn die Aussetzung der Vollstreckung dem Gläubiger einen schwer zu ersetzenden oder schwer abzusehenden Nachteil bringen würde. Dies gilt auch dann, wenn es aus sonstigen Gründen unbillig wäre, die Vollstreckung von einer Sicherheitsleitung abhängig zu machen, insbesondere weil der Gläubiger die Leistung für seine Lebenshaltung oder seine Erwerbstätigkeit dringend benötigt. Auch hier ist ein entsprechender Antrag nach § 714 ZPO vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung zu stellen, auf die das Urteil ergeht.

Veröffentlicht in der Zeitschriftenauswertung (ZA)  Februar 2015