Protokoll der mündlichen Prüfung zum 1. Staatsexamen – Berlin vom März 2023

Prüfungsthemen: Strafrecht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat

1

Note staatl. Teil 1. Examen

7,03

Gesamtnote 1. Examen

8,62

Zur Sache:

Prüfungsstoff: aktuelle Fälle

Prüfungsthemen: Fehlschlag beim Rücktritt, Anforderungen an die Freiwilligkeit, 2. Reihe-Rechtsprechung, Außertatbestandliche Zielerreichung

Paragraphen: §43 StGB, §24 StGB, §240 StGB, §25 StGB, §212 StGB

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort, hält Reihenfolge ein, Intensivbefragung Einzelner, hart am Fall

Prüfungsgespräch:

Der Prüfer bildete zu Beginn des Gesprächs einen Fall zum mitschreiben. T, dessen Bruder zuvor von dem O verprügelt worden war, wollte sich an O rächen. Er schlug mehrfach mit Tötungsvorsatz auf O ein, wurde jedoch von seinen Freunden 3m von O weggezogen und anschließend losgelassen. Er hätte ein weiteres Mal auf O zu stürmen und auf ihn einschlagen können, tat dies aber nicht. Er rief jedoch „Beim nächsten Mal bringe ich dich um“. Zunächst fragte der Prüfer nach den einschlägigen Delikten. Wir begannen mit einem versuchten Mord. Der Prüfer sagte, wir sollen die Mordmerkmale außer Betracht lassen, weshalb wir mit einem versuchten Totschlag weiter machten. Vorprüfung, Tatentschluss, unmittelbares Ansetzen und Rechtswidrigkeit waren unproblematisch. Kandidat 1 sollte weiter prüfen und sprach den Rücktritt an, insbesondere das Vorliegen eines Fehlschlags. Kandidat 1 und 2 bejahten (unter Anwendung der Lehre vom Rücktrittshorizont, jedoch ohne diese zu benennen) den Fehlschlag mit der Begründung, T könnte, nachdem er von seinen Freunden weggezogen worden war, nicht mehr auf O einschlagen. Dies reichte dem Prüfer nicht aus, sodass die Frage an mich weitergegeben wurde. Ich erklärte die Einzelaktstheorie (3 fehlgeschlagene Versuche, da bereits 3x zugeschlagen), Tatplantheorie (konnte man nicht einschätzen, da der Prüfer dazu keine Informationen genannt hatte) und die Lehre vom Rücktrittshorizont an, entschied mich für die Lehre vom Rücktrittshorizont und verneinte den Fehlschlag. Da O noch keine lebensgefährlichen Verletzungen erlitten hatte, nahm ich einen unbeendeten Versuch an, womit der Prüfer zufrieden schien. Anschließend fragte er Kandidat 1, welche weiteren Voraussetzungen für einen Rücktritt nötig seien. An dieser Stelle haben wir viel Zeit verloren, da die Freiwilligkeit zwar umschrieben wurde, aber nicht das Stichwort „autonome Entscheidung“ fiel. Der Prüfer gab dieses vor und fragte weiter, ob die Tat freiwillig aufgegeben worden sei. Dies wurde verneint, weil die Freunde den T weggezogen hatten. Diese Antwort genügte der Prüfer nicht. Er gab dieselbe Frage an Kandidat 2, die sich anschloss. Dann gab er die Frage an mich weiter. Ich antwortete, dass die Freiwilligkeit gegeben ist, wenn die Person Herr ihrer Entschlüsse ist und weiß, dass sie die Tat noch beenden könnte. Außerdem hatten die Freunde ihn nur 3m entfernt, sodass er unproblematisch noch einmal auf O hätte zustürmen und auf ihn einschlagen können. Die Freiwilligkeit ist nur zu verneinen, wenn der Täter sich vorbehält, in engem zeitlich-räumlichen Zusammenhang weitere Tathandlungen vorzunehmen. Die Äußerung „Beim nächsten Mal bringe ich dich um“ könnte einen solchen Vorbehalt darstellen. Dies verneinte ich jedoch, da dazwischen noch eine zeitliche Zäsur läge. Folglich bejahte ich die Freiwilligkeit. Der Prüfer fragte nach, wie der enge zeitliche Zusammenhang zu bestimmen sei, worauf ich „wie im Rahmen der Tateinheit“ antwortete. Damit war er sehr zufrieden, insbesondere sagte er, dass ich genau die Argumentation des BGH in diesem Fall nachgebildet hatte. Dann wandelte er den Fall ab: Wäre der Fall anders zu beurteilen, wenn T dem O nur einen Denkzettel erteilen wollte und er zufrieden von selbst nach Hause geht, nachdem er Os schmerzverzerrtes Gesicht sieht? Kandidat 1 und 2 wollten mit der Vorprüfung beginnen, wobei der Prüfer dies als unproblematisch bezeichnete und sie direkt auf den Rücktritt hinwies. Er fragte, ob der T aufgegeben hätte, was beide bejahten, nachdem sie kurz auf das Ablassen von O eingegangen waren. Der Prüfer gab die Frage an mich weiter. Ich sagte, dass es sich um das Problem der außertatbestandlichen Zielerreichung handelte und erklärte kurz die dazu vertretenen Theorien. Anschließend bejahte ich mit der herrschenden Meinung das Aufgeben mit dem Argument, dass § 24 auf „die Tat“ abstellt und nicht auf etwaige außerhalb liegender Ziele. Damit schien der Prüfer zufrieden. Er schilderte einen zweiten Fall zum Mitschreiben. Ca. 50 Klimaaktivisten blockieren eine Straße, die Fahrzeuge müssen stehen bleiben und es bildet sich ein langer Stau. Fahrer A steht in der ersten Reihe. Strafbarkeit der Aktivisten? Kandidat 1 begann mit § 240 und sollte die verschiedenen Gewaltbegriffe abgrenzen, was so mittelmäßig gelang. Der Prüfer gab die Frage weiter an Kandidat 2, die den vergeistigten Gewaltbegriff erweiterte. Er fragte nach der Vertretbarkeit des vergeistigten Gewaltbegriffs, die wir verneinten. Anschließend wollte er wissen, wer diese Auslegung „gekippt“ hätte. Leider hatte er niemanden konkret angesprochen, sodass wir nicht wussten, wer genau antworten sollte. Er beantwortete etwas genervt selbst die Frage: das BVerfG. Kandidat 2 erklärte danach die 2. Reihe Rechtsprechung richtig und verneinte § 240 gegenüber Fahrer A. Der Prüfer wollte wissen, wie wir nun weiter prüfen. Wir sprachen eine Nötigung in mittelbarer Täterschaft der Aktivisten durch „Benutzung“ des A an. Dafür erklärte ich die Voraussetzungen der unmittelbaren Tatbegehung eines anderen, in dessen Person ein deliktisches Minus vorlag, sowie den Tatherrschaft vermittelnden Beitrag des Tatmittlers. Damit war der Prüfer zufrieden. Anschließend sollten wir erklären, auf welcher Ebene bei A denn das deliktische Minus lag. Ich überlegte kurz, ob dies im Vorsatz (mangels Wollen aufgrund von Nötigungsherrschaft) liegen könnte, worauf der Prüfer fragte, welche Art von Vorsatz hier gegeben sei, woraufhin ich Wissentlichkeit annahm. Dann fragte er nach den Voraussetzungen, welche ich mit sicherem Wissen, aber nur abgeschwächtem Wollen definierte. Als ich den Vorsatz gerade ablehnen wollte, unterbrach er mich und sagte, bei der Wissentlichkeit sei kein voluntatives Element notwendig. Das war mir neu bzw. wurde sowohl im Repetitorium als auch während des Studiums und in allen Lehrbüchern immer ein abgeschwächtes voluntatives Element gefordert. Vielleicht handelt er sich bei des Prüfers Ansicht um eine Mindermeinung, aber er wollte nichts anderes gelten lassen (meine Note wurde deshalb herabgestuft). Abschließend fragte er Kandidat 1 nach der Rechtswidrigkeit, wobei § 34 angesprochen wurde. Ich ging fest davon aus, dass er hier auf das Problem der Nötigungsherrschaft und den entschuldigenden Notstand hinauswollte, allerdings war die Zeit dann schon vorbei.

Bei den obigen anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Berlin vom März 2023. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.