Protokoll der mündlichen Prüfung zum 1. Staatsexamen – Sachsen-Anhalt vom Juli 2021

Bei den nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Sachsen-Anhalt im Juli 2021. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.

Prüfungsthemen: Strafrecht

Zur Sache:

Prüfungsstoff: protokollfest

Prüfungsthemen: Versuchter Mord, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, StPO

Paragraphen: §211 StGB

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort, hart am Fall

Prüfungsgespräch:

Die Prüferin teilte uns einen kurzen Fall aus, der wie folgt ging:
A kommt gerade von einem Attentat und gerät auf einem Autobahnrasthof in eine rechtmäßige Verkehrskontrolle. Um wieder schnell auf die Autobahn zu gelangen, aber auch, um seine Haltung gegenüber der Polizei zum Ausdruck zu bringen [es stand wirklich nur „Haltung“ da, nichts weiter], fuhr er mit vollem Tempo auf den Polizisten P zu und nahm dabei in Kauf, diesen zu schädigen. P konnte im letzten Moment zur Seite ausweichen.
Es ging damit los, dass wir mögliche Strafbarkeiten sammeln sollten. Dabei nannten wir versuchten Mord, versuchte gefährliche Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Nötigung, Gefährdung des Straßenverkehrs und gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr. Wir begannen dann mit dem versuchten Mord. Hierzu hatte sie zunächst einige Fragen, beispielsweise warum wir mit dem versuchten Mord beginnen, obwohl doch andere Delikte vollendet waren (Schwerstes Delikt zuerst, weil Vorgriff auf die Konkurrenzen und die Gesamtstrafen Bildung), wie sich der Versuch auf den Strafrahmen auswirkt bzw. auswirken kann (fakultative, nicht obligatorische Strafmilderung, § 23 II StGB) und ob der versuchte Mord immer noch ein Verbrechen darstellt (§ 12 III StGB). Anschließend fragte sie, ob denn ein Rücktritt auch bei Eintritt des tatbestandlichen Erfolges in Betracht kommt (§ 24 II S. 2 Alt. 2 StGB sowie bei fehlender Kausalität oder objektiver Zurechnung). Auch sprachen wir ausführlich über die tätige Reue, dass diese besonders angeordnet sein muss und warum es diese beim Mord nicht gibt, bei der Brandstiftung aber schon (wir argumentierten in die Richtung, dass beim Mord bei tätiger Reue das verwirklichte Unrecht nicht mehr beseitigt werden kann; sie wollte hier aber irgendwie auf das Stichwort Unternehmensdelikte hinaus). Anschließend ging es um den Tötungsvorsatz, dass dieser von der bewussten Fahrlässigkeit abzugrenzen ist (für die Theorien oder dafür, warum man ein kognitives und voluntatives Element benötigt, interessierte sie sich nicht, sie wollte dann nur wissen, wie es der BGH macht und wie es im Fall gelagert ist). Hier gab es (für mich) leider nicht die Möglichkeit, Ausführungen zu machen. Nice to know ist aber, dass der BGH in seiner Rspr. von einem Tötungsvorsatz immer eher dann ausgeht, wenn beispielsweise langsam auf das Opfer zugefahren wird und dann schnell beschleunigt wird, während bei konstant schnellem Zufahren grundsätzlich mehr dafürspricht, dass das Opfer ausweichen wird (Selbsterhaltungstrieb des Menschen). Wir unterstellten dann jedoch den Tötungsvorsatz und kamen zu den Mordmerkmalen der niederen Beweggründe und der Verdeckungsabsicht. Bei ersterem schien sie eher auf die Bejahung hinauszuwollen, wenngleich sie hier auch eine andere Argumentation anzuerkennen schien (es lag ein Motivbündel vor und die Haltung gegenüber der Polizei als Leugnung des Gewaltmonopols des Staates stand nicht im Vordergrund, der Fluchtgedanke ist zudem verständlich, was der Gesetzgeber bspw. auch in § 258 V StGB anerkennt). Das Argument mit § 258 V StGB griff sie dann direkt auf und wollte wissen, warum denn dann Verdeckungsabsicht noch in Betracht kommen sollte, wenn denn der Fluchtgedanke nicht verwerflich sein soll (beim Verdeckungsmord kumuliert sich Unrecht, nämlich in Gestalt der Tötung und der zu verdeckenden Straftat, § 258 V StGB schließt zudem die Strafbarkeit aus anderen Delikten nicht aus). Auch galt es hier zu problematisieren, dass A hier von einem Attentat kam, was es wahrscheinlich macht, dass die Tat vollständig aufgedeckt wurde, wofür auch spricht, dass Attentäter häufig gerade wollen, dass sie mit der Tat in Verbindung gebracht werden. Auch hier wollte sie wissen, wie es der BGH macht (bei vollständiger Entdeckung der Straftat gibt es nichts mehr zu verdecken, Verdeckungsabsicht scheidet demnach aus).
Die gefährliche Körperverletzung, meinte sie, „sparen wir uns mal“, sie wollte noch auf den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte hinaus. Hier sind wir insbesondere auf die Frage eingegangen, ob hier Gewalt vorlag, ob ein Verletzungserfolg Voraussetzung für die Strafbarkeit ist (nein, hier hätte man mit dem Schutzgut argumentieren können) und wonach sich die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung bestimmt (strafrechtlich, strafprozessual oder öffentlich-rechtlich; auf den Streit hier sind wir jedoch nicht weiter eingegangen).
Dann ging es noch in die StPO und wir sollten prüfen, was denn Rechtsgrundlage für die Festnahme ist, wenn A 100 km entfernt aufgegriffen wird (§ 127 I von II StPO abgrenzen, insbesondere die Tatfrische haben wir problematisiert). Wir kamen auf § 127 II StPO und schauten uns dann noch die Voraussetzungen eines Haftbefehls an (§ 114 StPO). Auch wollte sie Gefahr im Verzug definiert wissen und warum man nicht auf die Definition aus dem SOG LSA zurückgreifen könne (Normenhierarchie hat ihr gereicht, die unterschiedliche Schutzrichtung könnte man ebenfalls nennen) und an was im Rahmen eines Strafverfahrens diesbezüglich immer zu denken sei (Richtervorbehalt). Danach ging es im Wesentlichen um die Verfahrensstadien und die jeweiligen Verdachtsstufen abgefragt, sowie um die Zuständigkeit in den Verfahrensstadien und um den Instanzenzug. Hier wurden im Prinzip Basics abgefragt, mit Ausnahme der Frage, ob Schöffen in der Hauptverhandlung mitwirken (§§ 30 II, 76 I 2 GVG). Auch sieht sie im Rechtsmittelverfahren einen eigenen Verfahrensabschnitt, man sollte dieses also nicht vergessen. Schließlich hatte sie zum Schluss gefragt, ob nach einer Revision beim BGH denn dann „Schluss sei“ und leitete dadurch (nein, Verfassungsbeschwerde ist denkbar, ebenso eine Klage beim EGMR) zum öffentlichen Recht über. Dann war die Prüfung vorbei.