Protokoll der mündlichen Prüfung zum 1. Staatsexamen – Schleswig-Holstein vom Dezember 2021

Prüfungsthemen: Strafrecht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat

1

Note staatl. Teil 1. Examen

6,61

Gesamtnote 1. Examen

6,61

Zur Sache:

Prüfungsstoff: protokollfest, aktuelle Fälle

Prüfungsthemen: Diebstahl in mittelbarer Täterschaft – Betrug, Dreiecksbetrug Vermögensschaden (Zweckverfehlung) und Vermögensverfügung – Einwilligung i.R.d.

Paragraphen: §263 StGB, §242 StGB, §25 StGB, §248b StGB

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort, lässt Meldungen zu, hart am Fall

Prüfungsgespräch:

Zunächst wurde ein längerer Fall geschildert. Dieser stammte laut eigener Angaben aus einer Ausbildungszeitschrift. Der A war früher als Paketfahrer bei DHL beschäftigt, wurde jedoch entlassen und ist nunmehr arbeitslos. Seine Arbeitskleidung hatte er nicht zurückgegeben. Als ihn in der Vorweihnachtszeit Geldsorgen plagten, ging der A bekleidet in seiner alten Berufskleidung in ein Paketzentrum der DHL und suchte dort gezielt nach Pakten, die auf ,,Nachname“ bestellt wurden. Bei diesem Konzept bezahlt der Empfänger die Kosten für die Ware und den Versand bei der Übergabe durch den Lieferanten. Sodann lud der A diese Pakte in einen offenstehenden Transporter von DHL. Dann ging er zu dem Pförtner P, der den A aufgrund seiner Kleidung für einen Mitarbeiter hielt, und ließ sich von diesem die Ladepapiere abzeichnen und die Schlüssel für den Transporter übergeben. A fuhr anschließend zunächst zu sich Nachhause, entnahm den Inhalt der Pakete und füllt sie mit Zeitungspapier. Dann fuhr A mit den wieder verschlossenen Paketen zu dem Empfänger B und kassiert dort den Nachnamebetrag i.H.v. 174,80 € inklusive 5,20 € Trinkgeld. Schließlich stellte A den Transporter – wie von Anfang an geplant – wieder auf dem DHL Gelände ab. Der Prüfer fragte nach der Strafbarkeit des A und bat einen Prüfling zu beginnen. Der Prüfling begann mit dem ersten Tatkomplex und prüfte einen Diebstahl an den Paketen durch das Beladen des Transporters nach § 242 StGB. Es wurde schematisch durchgegangen und festgestellt, dass es sich bei den Paketen um eine fremde bewegliche Sache handelt und das Merkmal fremd auch definiert. Problematischer war i.R.d. der Wegnahme, ob der Gewahrsam hier bereits gebrochen wurde. Der Prüfer fragte nach, wie man den Gewahrsam bestimmt und ob dieser mit dem zivilrechtlichen Begriff Besitz gleichzustellen ist. Der Prüfling verneinte dies und nannte Unterschiede, wie z.B., dass es im Gegensatz zum Besitz keinen mittelbaren Gewahrsam oder einen Erbengewahrsam, wie es diesen im Rahmen eines mittelbaren Besitzes und Erbenbesitzes der Fall ist. Letztlich kamen wir zu dem Ergebnis, dass durch das Beladen der Pakete in den DHL Transporter auf einem DHL Gelände weiterhin eine Einwirkungsmöglichkeit durch die DHL besteht, somit kein Gewahrsamsbruch vorliegt und mithin auch noch kein neuer Gewahrsam begründet wurde. Somit war das Tatbestandsmerkmal der Wegnahme nicht erfüllt und auch ein Diebstahl nicht vorliegend. Im weiteren Verlauf der Prüfung fiel es teilweise schwer, an die richtigen Bezugspunkte anzuknüpfen. Anschließend wurde ein Betrug gem. § 263 StGB durch die Handlung ggü. P angeprüft und auch hier sollten die einzelnen Tatbestandsmerkmale sauber definiert werden. Wir hielten uns hier lange an dem Merkmal der Vermögensverfügung auf. Es sollte auf die Abgrenzung des Dreiecksbetrug (gegenüber P zu Lasten von DHL) zum Diebstahl in mittelbarer Täterschaft eingegangen werden. Die hier vertretenen Theorien wurden dazu benannt. Es ging vielmehr aber darum, ob ein Verfügungsbewusstsein erforderlich ist und ob der P ein solches hatte. Da der P allerdings davon ausging, dass A zur DHL gehörte, wollte er das Vermögen von der DHL nicht mindern. Somit war eine Vermögensverfügung und gleichzeitig eine Strafbarkeit wegen Betruges nach § 263 StGB abzulehnen. Anschließend wurde ein Diebstahl gem. § 242 StGB an den Papieren und dem Auto (durch die Schlüsselübergabe) angeprüft. An den Papieren wurde der Diebstahl bejaht, am Auto allerdings mangels Enteignungskomponente in der Zueignungsabsicht nicht, da er den Transporter – wie von Anfang an geplant – wieder auf dem DHL Gelände abstellte. Auch hier wurde allerdings das Schema vorher nochmals kurz durchgegangen. Ferner wurde der § 248b StGB wegen der Nutzung des Transporters angeprüft. Hier muss der Gebrauch jedoch entgegen dem Willen des Berechtigten erfolgen. P war allerdings dazu berechtigt, über die Transporter zu verfügen und hat mit seiner Erlaubnis sein Einverständnis ausdrücklich erklärt. Auf die konkludente Täuschung durch die Kleidung kommt es nicht an. Somit war der § 248b StGB im Ergebnis abzulehnen. Als kleinen Exkurs fragte der Prüfer, ob es nicht aufgrund des gleichen Strafrahmens egal sei, ob man wegen § 263 StGB oder § 242 StGB bestraft. Wir kamen jedoch zu dem Schluss, dass dies schon deshalb nicht egal sein könne, wenn Regelbeispiele oder Qualifikationen in Betracht kämen, da dort unterschiedliche Strafhöhen gelten. Schließlich kamen wir zu der Prüfung, ob durch das Entnehmen des Inhaltes der Pakete ein Diebstahl verwirklicht wurde. Der Diebstahl wurde jedoch bereits durch das Wegfahren erfüllt, sodass kein weiterer Diebstahl durch diese Handlung begangen wurde. Schließlich ging es um die Übergabe an den B. Es wurde wieder ein Betrug geprüft. Der Schwerpunkt lag nunmehr auf dem Tatbestandsmerkmal des Vermögensschadens. Es wurde problematisiert, ob B von seiner Erfüllung der Verbindlichkeit ggü. dem Absender durch die Zahlung an A befreit wurde. Dies wurde verneint.
Zwar hätte B einen Schadensersatzanspruch ggü. A, dieser ist jedoch nicht gleichwertig und kann den Schaden somit nicht kompensieren. Anschließend galt es um die Bemessung der Höhe des Schadens und der Frage, ob in der Zahlung des Trinkgeldes .i.H.v. 5,20 € möglicherweise eine bewusste Selbstschädigung liegt. Hier wurde eine Parallele zu den Spendenfällen gezogen, bei denen das soziale Ansehen gesteigert werden soll und mithin ein wirtschaftlicher, sozialer und ethischer Zweck verfolgt wird. Ein Vermögensschaden ist in diesen Fällen bei einer Zweckverfehlung zu sehen. Dies haben wir allerdings im Rahmen des Trinkgeldes verneint, sodass lediglich ein Schaden in Höhe der Kosten für das Betrag von 174,80 € entstanden ist. Zuletzt fragte der Prüfer, ob uns noch eine weitere Strafbarkeit einfiele. In Betracht kam hier ein Diebstahl nach § 242 StGB an dem Benzin.
Fraglich war, ob man dies bejahen könne, wenn der § 248b StGB aufgrund des wirksamen Einverständnisses verneint wurde. Dies lehnten wir aufgrund der Wertungswidersprüchlichkeit ab. Damit endete die Prüfung.

Bei den obigen anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Schleswig-Holstein im Dezember 2021. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.