Protokoll der mündlichen Prüfung zum 2. Staatsexamen – NRW vom Mai 2022

Prüfungsthemen: Strafrecht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat

1

Note staatl. Teil 1. Examen

10,8

Gesamtnote 1. Examen

10,4

Gesamtnote 2. Examen

9,02

Zur Sache:

Prüfungsthemen: Raub, Diebstahl, Befangenheit, Eröffnungsbeschluss

Paragraphen: §223 StGB, §249 StGB, §203 StPO, §24 StPO, §230 StGB

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort, hält Reihenfolge ein, lässt Meldungen zu, Fragestellung klar

Prüfungsgespräch:

Vorab muss ich leider sagen, dass ich aufgrund meiner Schwerbehinderung nicht viel mitschreiben konnte und deshalb hauptsächlich Notizen gemacht habe, die für mein eigenes Verständnis und den Fortgang der Prüfung wichtig waren und selbst diese teilweise schlecht entzifferbar sind. Mir tut das wirklich sehr leid und ich hoffe, dass ihr aus den anderen Protokollen mehr Informationen herausziehen könnt. Der Prüfer ist jedenfalls nicht protokollfest, wobei als wiederkehrendes Muster m.E. Zuständigkeiten, der Instanzenzug, Besetzung der Spruchkörper, Beweisverwertungsverbote, Zeugnisverweigerungsrecht und Vermögensdelikte häufiger vorkommen. Ich bemühe mich, alles, woran ich mich erinnern kann, zutreffend wiederzugeben. Zunächst schildete er folgenden kurzen Fall: B wird verdächtigt. Er tanzte mit einer Bierflasche in der Hand in Düsseldorf auf einem Kinderspielplatz. Der 8-jährige Malte saß auf einer Schaukel und aß gerade eine Fleischwurst. B beschloss die Wurst an sich zu nehmen und sagte zu Malte: „Die gehört mir, du kleiner Mistkerl“ und schubste Malte dabei von der Schaukel. Anschließend verzehrte er die Fleischwurst. Ich meine, dass es sich um einen abgewandelten alten Aktenvortrags- oder Klausurfall handelt, wobei der Beschuldigte in dem Fall die Wurst mit einem Spieß aus der Hand des Jungen aufspießte, aber das spielte hier keine Rolle. Wir sollten die in Frage kommenden Delikte nennen: Körperverletzung, § 223 I StGB, Nötigung, § 240 StGB, Raub, § 249 I StGB, Diebstahl, § 242 I StGB und Beleidigung § 185 StGB. Kandidatin 2 prüfte den Raub einschließlich aller Definitionen (die ich an dieser Stelle auslasse) durch. Die Fleischwurst ist eine für B fremde bewegliche Sache, als qualifiziertes Nötigungsmittel könnte B Gewalt gegen eine Person eingesetzt haben oder mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben gedroht haben. B hat Gewalt angewendet, indem er Malte von der Schaukel schubste. Eine Drohung haben wir hingegen verneint. Der spezifische Gefahrzusammenhang liegt vor, da B Malte zum Zweck der Wegnahme der Wurst von der Schaukel geschubst hat. B handelte auch vorsätzlich und mit der Absicht rechtswidriger Zueignung. Der Diebstahl tritt hinter dem Raub aus Gründen der Spezialität zurück. Sodann habe ich die Körperverletzung geprüft und bejaht. Körperliche Misshandlung liegt vor, eine Gesundheitsschädigung ist wohl auch anzunehmen durch den Sturz des Jungen von der Schaukel (Verletzungen, Schürfwunden). Den Strafantrag gem. § 230 I 1 StGB können bei Geschäftsunfähigen und beschränkt Geschäftsfähigen gem. § 77 III StGB der gesetzliche Vertreter und der Sorgeberechtigte stellen. Die Geschäftsunfähigkeit bestimmt sich nach § 104 Nr. 1 BGB, die beschränkte Geschäftsfähigkeit nach § 106 BGB. Malte ist mit 8 Jahren beschränkt geschäftsfähig. Der Prüfer ließ mir hier die Möglichkeit, mich selbst zu korrigieren. Kandidat 3 prüfte Nötigung und Beleidigung. Die Nötigung tritt hinter dem Raub als subsidiär zurück. Für die Beleidigung als absolutes Antragsdelikt ist zwingend ein Strafantrag erforderlich, § 194 I 1 StGB. Der Prüfer fragte, was der Unterschied zwischen relativen und absoluten Antragsdelikten ist. Bei den relativen kann der fehlende Strafantrag durch die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft ersetzt werden. Der Prüfer wollte noch wissen, warum die Sachbeschädigung gem. 303 I StGB nicht einschlägig ist. Verzehren ist bestimmungsgemäßer Gebrauch und der bestimmungsgemäße Gebrauch fällt nicht unter den Begriff der „Zerstörung“. Wir haben anschließend überlegt, bei welchem Gericht B angeklagt werden könnte. Da der Raub ein Verbrechen ist, wäre das Amtsgericht – Schöffengericht – gem. §§ 24 I 1, 28 GVG oder das Landgericht – große Strafkammer – gem. § 74 I GVG zuständig. Da voraussichtlich keine höhere Strafe als 4 Jahre Freiheitsstrafe zu erwarten ist (§ 24 II StGB), bleibt es beim Schöffengericht. Was käme theoretisch noch in Betracht? Die StA kann im Falle einer besonderen Schutzbedürftigkeit des Verletzten, der als Zeuge in Betracht kommt, gem. § 41 I Nr. 4 JGG bei der Jugendkammer Anklage erheben. Grund für diese Regelung ist die besondere Qualifikation der Jugendgerichte. Das Verfahren ging nun weiter. Vor dem Aufruf der Sache in der Hauptverhandlung erfuhr der Vorsitzende des Schöffengerichts wohl, dass seine Ehefrau als Staatsanwältin die Sitzungsvertretung übernehmen sollte. Er überlegt, ob etwas dagegenspricht. Es könnte für den Richter ein gesetzlicher Ausschlussgrund gem. §§ 22, 23 StPO entgegenstehen oder ein Ablehnungsgrund wegen Besorgnis der Befangenheit gem. § 24 II StPO vorliegen. Einen gesetzlichen Ablehnungsgrund haben wir verneint. Bei der Befangenheit kommt es darauf an, ob ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Es wurde argumentiert und die Besorgnis der Befangenheit unter Bezugnahme auf die besondere persönliche Verbindung, Interessenkollision und die Außenwirkung im Ergebnis bejaht. In der Hauptverhandlung wurde festgestellt, dass der Eröffnungsbeschluss vergessen wurde, §§ 203, 207 StPO. Das Fehlen des Eröffnungsbeschlusses ist ein Verfahrenshindernis und führt zur Einstellung des Verfahrens. Der Prüfer fragte, ob eine Nachholung des Eröffnungsbeschlusses in der Hauptverhandlung möglich ist. Grundsätzlich ist eine Nachholung möglich. Dafür sprechen insbesondere Gründe der Prozessökonomie. Sie muss in der richtigen ursprünglichen Besetzung erfolgen und nur die Berufsrichter dürfen unterschreiben. Wie ist denn das Schöffengericht besetzt? In der Regel mit einem Richter und zwei Schöffen, § 29 I GVG. Was kann B gegen den Eröffnungsbeschluss unternehmen? Der Beschluss ist gem. § 210 I StPO durch den Angeklagten unanfechtbar. Was wäre erforderlich für eine Nachholung? Die Ladungsfristen gem. §§ 217, 218 StPO müssten eingehalten werden. Bei Nichteinhaltung könnte der Angeklagte gem. §§ 217 II, 228 StPO die Aussetzung der Verhandlung verlangen. Gemäß § 217 III StPO kann der Angeklagte jedoch auf die Einhaltung der Ladungsfristen verzichten. Erforderliche, durch den Richter zu treffende Maßnahme wäre in diesem Fall, ihn zu fragen und über die Rechtsfolgen eines Verzichts zu belehren. Das war es auch schon in den groben Zügen. Der materielle und der prozessuale Teil hatten zeitlich in etwa den gleichen Umfang. Die Zeit ging schnell rum, wobei man dadurch aber auch das Gefühl hatte, wenig von dem zeigen zu können, was man weiß. Da wir in einer 5-er Gruppe geprüft wurden und der Prüfer die Pausen für die Prüfer kurzgehalten hat, waren wir schon um ca. 16 Uhr fertig. Ganz viel Glück und Erfolg!

Bei den obigen anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem zweiten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in NRW im Mai 2022. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.