Protokoll der mündlichen Prüfung zum 1. Staatsexamen – Baden-Württemberg vom Juli 2020

Bei den nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Baden-Württemberg im Juli 2020. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.

Prüfungsthemen: Öffentliches Recht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat 1
Vorpunkte 5,83
Aktenvortrag 1
Zivilrecht 11
Strafrecht 12
Öffentliches Recht 12
Endpunkte 11,66
Endnote 7,57

Zur Sache:

Prüfungsstoff:  aktuelle Fälle

Prüfungsthemen: Die Coronakrise war das bestimmende Thema durch die gesamte Prüfung: Notverkündung, Unterschied Verordnung – Allgemeinverfügung Normenkontrolle nach § 47 I VwGO einstweiliger Rechtsschutz ach § 47 VI VwGOArt. 12 GGArt. 3 GG

Paragraphen: §82 GG, §35 LVwVfG, §43 VwGO, §47 VwGO, §12 GG

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort Diskussion, lässt Meldungen zu, verfolgt Zwischenthemen, Fragestellung klar

Prüfungsgespräch:

Der Prüfer stieg direkt mit Bezug zur Corona Krise in die Prüfung ein. Er meinte, dass momentan die Verordnungen notverkündet werden und fragte uns nach der Bedeutung davon. Dann wollte er mehr zur Bekanntgabe bzw. Verkündung der Verordnung allgemein hören.
Funktion der Notverkündung: geht deutlich schneller und nicht nach dem gewohnten Ablauf.
Zur Bekanntgabe von Rechtsverordnungen findet sich etwas in Art. 82 II GG. In Baden-Württemberg gilt Art. 61 LV. Die Verkündung ist in Art. 63 II LV geregelt. Normalerweise wird eine Verordnung im Landesgesetzblatt verkündet.
Dann fragte er uns, wo die Notverkündung geregelt sei, machte dabei aber gleich deutlich, dass wir dies nicht wissen müssten – in § 4 VerkG. Keiner von uns kam auf die richtige Antwort.
Durch die Notverkündung können die Verordnungen über die Homepage „notverkündet“ werden; später werden sie im Gesetzesblatt abgedruckt.
Weiterhin fragte der Prüfer nach der Durchsetzung von Regelung während der Quarantäne wie bspw. eine Ausgangssperre – zunächst in welcher Form werden diese umgesetzt?
Grundsätzlich gibt es verschiedene Handlungsformen
Satzung: hier abwegig; sie regeln typischerweise Selbstverwaltungsangelegenheiten
Polizeiverordnung, § 10 PolG
Darauf kamen ein Mitprüfling und der Prüfer nahm dies zum Anlass zu fragen, was das Merkmal der Polizeiverordnung sind.
-> Sie regeln eine abstrakte Gefahr und richten sich an einen generell-abstrakten Adressatenkreis.
-> Sie gilt als Rechtsvorordnung und ist daher abstrakt-generell
Allgemeinverfügung
-> diese ist konkret-generell
-> zumindest Bestimmbarkeit des Personenkreises
Dann fragte der Prüfer , ob eine Ausgangssperre wohl eher durch eine Allgemeinverfügung oder eine Verordnung geregelt werde.
Meine Mitprüflinge subsumierten die einzelnen Merkmale:
als konkrete Gefahr von Infektionen könnte eher eine Allgemeinverfügung geeignet sein.
Der Prüfer klärte uns darüber auf, dass die Länder am Anfang der Krise die Regelungen auch in Form der Allgemeinverfügung erließen. Irgendwann schwenkten sie auf Rechtsverordnungen um.
Anschließend wollte er wissen, wo Allgemeinverfügungen geregelt sind und welche Arten davon.
-> § 35 2 LVwVfG (wichtig, dass das LVwVfG genannt wird, nicht das VwVfG, denn hier geht es um den Bereich der Landesverwaltung)
-> Arten:
> hinsichtlich Personenkreises
> Eigenschaften einer Sache – Stichwort Widmung
> Benutzung einer Sache – öffentlicher Einrichtung wie bspw. Museen, Stadthalle etc.
Der Prüfer richtete die Frage an mich, ob ich ein Problem kenne, bei dem lange Zeit zur Diskussion stand, ob eine Allgemeinverfügung vorliege.
Hinaus wollte er auf Verkehrszeichen
Früher vertraten viele die Ansicht, dass es sich dabei um eine Verordnung handle. Heute wird überwiegend vertreten, dass es eine Allgemeinverfügung sei. Dieses Problem ist bei der Frage des Einzelfalles zu besprechen.
Für die Allgemeinverfügung sprechen praktische Gründe. Sonst müsste jedes Verkehrszeichen entsprechend der Regeln für die Verordnungen verkündet und bekannt gemacht werden. Dies erscheint wenig sinnvoll.
Nun gab der Prüfer uns einen Sachverhalt vor: (entsprechend einer Entscheidung vom VGH)
Ab Mitte März kam es zum Lockdown in BW. Am 17. März erließ die Landesregierung eine Verordnung. Diese untersagte den Betrieb aller Verkaufsstellen des Einzelhandels mit verschiedenen Ausnahmen. Ab dem 17. April gab es insgesamt fünf Änderungsverordnungen mit Lockerungen. Ab dem 20. April durften alle Geschäfte, die nicht mehr als 800qm groß waren wieder öffnen. Für Geschäfte mit mehr als 800qm war das nicht möglich, denn diese seien sehr publikumsintensiv und würden viele Leute anziehen. Eine Ausnahme wurde für den Kfz-Handel, Buchhandlungen und Fahrradverkaufsstellen gemacht: diese durften auch größer als 800qm sein. Als Begründung wurde die Sicherung der Mobilität sowie der kulturellen Grundversorgung genannt.
Sporthändler S hat eine Verkaufsfläche von 1200qm. Er meint die Verordnung würde in seine Grundrechte eingreifen und ihm diskriminieren.
Was kann er tun?
Ein Mitprüfling schlug zunächst die Verfassungsbeschwerde vor. Darauf wollte der Prüfer nicht hinaus. Er fragte kurz, weshalb diese scheitern könnte -> keine Rechtswegerschöpfung.
Ein anderer Mitprüfling schlug eine Anfechtungsklage vor:
Diese ist hier allerdings nicht möglich, denn es handelt sich um eine Rechtsverordnung und nicht um einen Verwaltungsakt.
Möglich wäre eine Feststellungsklage nach § 43 VwGO.
Weiterhin kommt eine Normenkontrolle nach § 47 I Nr. 2 VwGO i.V.m. § 4 AGVwGO in Betracht.
Letzteres wurde nachfolgend durchgeprüft.
Zulässigkeit
Statthafte Antragsartüberprüft werden soll die Gültigkeit einer Rechtsverordnung -> (+)
Antragsbefugnis, § 47 II
Möglichkeitstheorie: mögliche Verletzung von Art. 12 GG, Art. 2 I GG
Frist, § 47 II 1
1 Jahr (+)
Zuständigkeit des Gerichts
OVG – in BW nennt sich dies VGH
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen lagen alle unproblematisch vor.
Weiterhin fragte der Prüfer, wie S denn möglichst schnell sein Recht durchsetzen könnte. Hierfür kommt der einstweilige Rechtsschutz nach § 47 VI VwGO in Betracht.
Anschließend wollte er noch wissen, wie das Verhältnis von Normenkontrolle und Feststellungsklage ist. Grundsätzlich können beide nebeneinanderstehen. Sie schließen sich nicht gegenseitig aus.
Begründetheit
Wir folgten keiner schematischen Prüfung, sondern gingen gleich auf die Grundrechte ein.
Begonnen wurde mit Art. 12 GG.
Dies ist ein einheitliches Grundrecht für Berufswahl und Berufsausübung, in welches durch die Verordnung eingegriffen wird.
Im Rahmen der Rechtfertigung – speziell bei der Verhältnismäßigkeit – wird die Stufenlehre angewandt.
Der Prüfer fragte, wo diese ihren Ursprung hat.
-> Apothekenurteil (Den Sachverhalt hierzu wollte er kurz dargestellt haben)
Dann wurde die Stufenlehre dargestellt.
Vorliegend schränkte die Verordnung die Berufsausübung ein. Ein solcher Eingriff ist grundsätzlich gerechtfertigt, wenn vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls dafürsprechen.
Dies ist hier zweifelsohne der Fall.
Letztlich fragte der Prüfer noch, woher die Grenze von 800qm kommt.
Diese ist aus dem Baurecht. Ab 800qm (früher 600qm.) beginnt der großflächige Einzelhandel. Diese sind nicht mehr im Gewerbegebiet zulässig, sondern nur im Sondergebiet.
Bei Fall ging es weiter mit der Prüfung des Art. 3:
Es könnte eine Ungleichbehandlung hinsichtlich der Betriebe vorliegen, die ausnahmsweise auch mit einer Fläche von über 800qm geöffnet haben dürfen.
Eine Vergleichsgruppe liegt vor.
Eine Ungleichbehandlung ebenfalls.
Fraglich ist, ob ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung vorliegt.
Dies ist zu verneinen, was auch der VGH so sah. Durch die Rechtsverordnung wurde wesentlich gleiches ohne sachlichen Grund ungleich behandelt.
Demnach verstößt die Rechtsverordnung gegen Art. 3 GG und ist daher unwirksam.