Protokoll der mündlichen Prüfung zum 1. Staatsexamen – Hamburg vom Dezember 2020

Bei den nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Hamburg im Dezember 2020. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.

Prüfungsthemen: Öffentliches Recht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat 1
Vorpunkte 8,9
Aktenvortrag 11
Zivilrecht 13
Strafrecht 11
Öffentliches Recht 9
Endpunkte 11
Endnote 9,4

Zur Sache:

Prüfungsstoff:protokollfest

Prüfungsthemen: Versammlungsrecht, allgemeines Verwaltungsrecht, VwGO, Staatsrecht

Paragraphen: §20 GG, §15 VersG

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort, verfolgt Zwischenthemen, lässt sich ablenken

Prüfungsgespräch:

Wie teilweise in vorherigen Prüfungen (s. die anderen Protokolle) knüpfte der Prüfer auch bei uns an die vorherige Prüfung (in diesem Fall Zivilrecht) an und fragte, ob sich für die Person, die im vorherigen zivilrechtlichen Fall einen deliktsrechtlichen Schaden in Form einer Körperverletzung erlitten hat, auch etwas aus dem Grundgesetz ergeben würde. Unmittelbar sind nur Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung an die Grundrechte gebunden, Art. 1 III GG; eine mittelbare Drittwirkung kann sich jedoch auch in privatrechtlichen Beziehungen über unbestimmte Rechtsbegriffe und Auslegung ergeben. KD fragte, ob der Staat denn strafrechtliche Normen vorsehen muss, die ein solches Verhalten ahnden. Dies wurde bejaht, denn aus der objektivrechtlichen Funktion der Grundrechte als objektive Werteordnung werden staatlichen Schutzpflichten abgeleitet; zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 II 1 GG) darf der Staat nicht untätig bleiben oder gänzlich ungeeignete Vorkehrungen treffen – dazu dienen die strafrechtlichen Verbotsnormen der §§ 223 ff. StGB (bezüglich der körperlichen Unversehrtheit).
Anschließend wurde ein Fall aus dem Versammlungsrecht geschildert, der in Folge an einigen Stellen abgewandelt wurde:
Für Freitag, den 11.12.2020 wird eine Demonstration angekündigt, die vor dem Eingang des Hamburger Rathauses auf dem Rathausplatz stattfinden soll und nach dem Besuch der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (Gefahrenstufe 1: dauerhafte Gefahr) im Rathaus mit ihr in einen kritischen Dialog zur Flüchtlingspolitik treten möchte. Die Demonstration wird vom Verein “Bund deutscher Bürger” geplant, der aus dem Reichsbürger Milieu stammt. Zur Demonstration wurden etwa 10-15 Teilnehmer erwartet. Auf einer vergangenen Demonstration des Vereins in Hannover kam es zu Gewaltanwendung, jedoch von einer sich gebildeten Gegendemonstration. Die zuständige Behörde verfügt, dass die Demonstration am anderen Ende des Rathausmarktes weiter vom Rathauseingang entfernt stattfinden darf. Die Bundeskanzlerin verlässt das Gespräch im Rathaus später über einen Hinterausgang. Der Verein möchte klagen.
KD wollte die Prüfung mit dem materiellen Recht beginnen. Er fragte daher, was denn wohl das Ziel des Vereins wäre. Der Prüfling antwortete, dass es auf die Rechtmäßigkeit der Maßnahme ankäme.
Diese sollte dann geprüft werden. Zunächst stellte der Prüfling fest, dass es einer Ermächtigungsgrundlage bedürfte. KD fragte, warum das so sei, woraufhin der Vorbehalt des Gesetzes und die Wesentlichkeitstheorie genannt wurden. Diese sollte sodann erklärt werden. Dabei war es KD wichtig, dass explizit darauf eingegangen wird, dass es auf die Beteiligung des parlamentarischen Gesetzgebers ankommt. Wir verließen kurz den Fall und sprachen über die Notwendigkeit einer Ermächtigungsgrundlage für Verordnungen nach Art. 80 GG. Außerdem fragte KD nach den Befugnissen der Satzungsgeber. Hier wollte er vor allem den Art. 28 Abs. 2 GG und das Recht auf kommunale Selbstverwaltung hören. Wir setzten die Prüfung des Falles fort ein Prüfling sollte die einschlägige Ermächtigungsgrundlage nennen. Richtigerweise schlug er den § 15 Abs. 1 VersG vor. KD fragte dann, ob man nicht auch auf die Vorschriften des SOG zurückgreife könnte. Der Prüfling erläuterte die Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts und stellte heraus, dass dieses lex speciales zum SOG ist. Anschließend ging es kurz um die Anmeldepflicht bei Versammlungen nach § 14 VersG. KD fragte nach dessen Vereinbarkeit mit dem Art. 8 GG wobei er selbst kurz verwirrt war, als der Prüfling daraufhin wies, dass der Art. 8 GG Versammlung explizit “ohne Erlaubnis” vorsah. Nachdem er die Norm dann selber nochmal gelesen hatte, war er mit der Antwort des Prüflings, dass der § 14 VersG verfassungskonform ausgelegt werden müsse zufrieden. Wir fuhren mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG fort. Als nächstes sollte geprüft werden, ob eine Gefahr für eines der Schutzgüter vorlag. Dabei wollte KD ausdrücklich keine Definitionen hören, sondern eher eine “generelle Einschätzung”. Der Prüfling sprach das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit in seiner Ausprägung von Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates an. Es wurden Überlegung angestellt, ob dieses Schutzgut durch die Demonstration hier gefährdet worden sein könnte im Rahmen dieser Überlegung wurde auch die Meinungsfreiheit des Art. 5 GG einbezogen. KD wies jedoch darauf hin, dass es gerade nicht um die Inhalte der Demonstration, sondern nur um den räumlichen Kontakt vor dem Rathaus gehen sollte. Daher ging der Prüfling noch kurz auf die Rechtgüter einzelner, hier die Rechtsgüter der Bundeskanzlerin ein, die in Gefahr gewesen sein könnten. Ein anderer Prüfling ging noch genauer auf den Gefahrbegriff ein und machte deutlich, dass es hier auf eine Prognoseentscheidung ankäme. Eine solche dürfe allerdings nicht allein auf die Vorfälle auf vorherigen Demonstrationen gestützt werden. Ein richtiges Ergebnis hinsichtlich des Bestehens oder Nicht-Bestehens einer Gefahr gab es nicht. Trotzdem fuhr KD in der Prüfung fort und fragte den nächsten Prüfling nach der Störer-Eigenschaft der Demonstranten. Der Prüfling stellte fest, dass hierbei auf die Begriffe der §§ 8 ff. SOG abzustellen sei. Dem stimmte KD zu. Der Prüfling ging kurz auf die unterschiedlichen Störerbegriffe ein und stellte sodann auf den Verhaltensstörer ab. Damit war KD zunächst nicht vollkommen einverstanden. Er wollte noch Ausführungen zur Figur des Zweckveranlassers im Rahmen des § 8 SOG hören. Der Prüfling erläuterte daher kurz die Figur des Zweckveranlassers, lehnte diese dann jedoch in Hinblick auf die verfassungskonforme Auslegung unter Berücksichtigung des Art. 8 GG ab. KD fragte einen anderen Prüfling danach, ob die Behörden die Demonstranten auch als Nichtstörer in Anspruch nehmen könnten und eine Auflage in Hinblick auf mangelnde Kapazitäten und nicht zu gewährende Sicherheit erlassen könnten. Der Prüfling antwortete, dass die Inanspruchnahme als Nichtstörer nur in Frage käme, wenn eine Gefahr ”auf andere Art und Weise” nicht abgewendet werden kann. Insbesondere bei einer derart kleinen Versammlung könne erwartet werden, dass die Behörden die Sicherheit mit einem entsprechenden Polizeiaufgebot gewährleisten. Im Übrigen könne auch Amtshilfe in Anspruch genommen werden. Damit war die materiell-rechtliche Prüfung beendet.
Anschließend kamen wir noch auch die prozessuale Einkleidung des Falles zu sprechen. KD fragte zunächst danach, ob der Verein, wenn er denn nun gegen die Maßnahme vorgehen wollte, ein Vorverfahren durchführen müsste. Der Prüfling antwortete daraufhin, dass dies im Einzelnen nicht unumstritten sei, wohl aber auf den Sinn und Zweck des Vorverfahrens abgestellt werden müsse. Danach solle dies insbesondere der behördeninternen Kontrolle dienen und die Möglichkeit eröffnen, den VA nochmal “zu verbessern” bei bereits eingetretener Erledigung sei ein Vorverfahren daher nicht mehr zielführend. Damit gab KD sich zufrieden. Anschließend fragte er den nächsten Prüfling, welche Klageart denn hier die statthafte wäre. Der Prüfling antwortete mit FFKL und stellte kurz den Meinungsstreit zur analogen Anwendung des § 113 Abs. 1 S. 4 oder der Statthaftigkeit der allgemeinen Feststellungsklage dar. Im Ergebnis entschied sich der Prüfling für die analoge FFKL, KD stimmte dem zu. Den beiden anderen Prüflingen stellte KD frei, sich nun ein Problem aus dem Schema der FFKL auszuwählen und dieses kurz zu erläutern. Einer der Prüflinge entschied sich für das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis und das dort notwendige qualifizierte Feststellungsinteresse.
Es wurden die einzelnen Fallgruppen gesammelt, wobei zunächst der schwerwiegende Grundrechtseingriff vergessen wurde. Nachdem diese Fallgruppe noch von einem anderen Prüfling ergänzt wurde fragt KD noch nach dem Grund dieser Fallgruppe, als Antwort wollte er hier das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG hören. Anschließend war die Prüfung beendet.