Protokoll der mündlichen Prüfung zum 1. Staatsexamen – Saarland vom Juni 2016

Bei dem nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung im Saarland im Juni 2016. Das Protokoll stammt auf dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.

Prüfungsfach:  Zivilrecht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat 1 2 3 4
Vorpunkte 8,91 9,0 8,2 8,3
Aktenvortrag 14
Zivilrecht 16
Strafrecht 12
Öffentliches Recht 14
Endpunkte 14
Endnote 10,41 9,1 8,3 9,2

Zur Sache:

Prüfungsthemen: Herausgabenasprüche; § 1357 BGB; gutgläubiger Erwerb eines Werkunternhemerpfandrechts; Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozess; Schadensersatzanspruch bei anwaltlicher Schlechtleistung; Amtshaftungsanspruch aus § 839 I 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG

Paragraphen: §985 BGB, §647 BGB, §935 ZPO, §280 BGB, §839 BGB

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort, hält Reihenfolge ein, Intensivbefragung Einzelner

Prüfungsgespräch:

Die Prüferin teilte uns folgende zwei Fälle aus, welche sie nach Prüfungsende wieder einsammelte:

Fall 1:
Ehemann M ist mit seiner Ehefrau F verheiratet. Der F gehört eine alter VW-Bus (Wert: 50.000 €). E möchte seiner Frau zum Geburtstag eine Freude bereiten und lässt den Bus bei Werkunternehmer U für 6.000 € in pink um lackieren. Allerdings kommt es anders als erwartet und die F findet keinen Gefallen an der neuen Lackierung. Die F verlangt ihren Bus von dem U heraus, doch dieser ist nur gegen Zahlung der noch offenen 6.000 € zur Herausgabe bereit.
Frage 1:
Kann die F von dem U mit Erfolg Herausgabe des VW verlangen?
Frage 2:
Sie sind der Anwalt der F. Welche Schritte haben sie für eine gerichtliche Durchsetzung in die Wege zu leiten? Was ist in Betracht zu ziehen, wenn die F dringlich den VW zurück haben möchte, weil sie mit diesem in Urlaub zu fahren plant?
Fall 2:
Das Gericht weist die Herausgabeklage der F fälschlicherweise ab. Allerdings hatte es den Anwalt der F ausdrücklich auf eine solche Entscheidung und die sie tragenden Gründe hingewiesen, dieser hatte es jedoch versäumt Gegenteiliges vorzutragen und ließ auch die Berufungsfrist verstreichen. Der F entsteht dadurch ein Schaden, dass sie die Prozesskosten sowie die Rechtsanwaltskosten der Gegenseite zu tragen hat, sowie 6.000 € zur Abwendung der Befriedigung des U zahlen muss.
Verärgert über den Ausgang der ganzen Angelegenheit beauftragt die F einen anderen Anwalt.
Frage:
Welche Ansprüche stehen der F gegen „das Gericht“ und gegen den ersten Anwalt zu?
Lösung Fall 1:
Frage 1:
Abzuprüfen war zunächst ein vertraglicher Herausgabeanspruch der F gegen den U aus § 631 I BGB. Allerdings hat die F den Werkvertrag nicht selbst mit dem U geschlossen. Sie könnte wirksam von dem U vertreten worden sein. Problematisch ist, ob ein Handeln im fremden Namen des E für die F vorliegt. E handelte weder ausdrücklich, noch konkludent für die F. In Betracht zu ziehen war noch der Ausnahmefall des beiderseitig sofort erfüllten Barkaufs des täglichen Lebens. Dieser jedoch hier abzulehnen. Zudem wurde noch eine fehlende Vertretungsmacht bejaht. Es wurde § 1357 BGB angesprochen und ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs verneint, wobei § 1357 BGB auch keine gesetzliche Vertretungsmacht gewährt, sondern eine gesetzliche Verpflichtungsermächtigung sui generis darstellt. Sodann war auf einen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB einzugehen. Dieser müsste zunächst entstanden sein. Kernpunkt dieses Anspruchs war, ob dem U ein Recht zum Besitz gem. § 986 I 1 BGB zustand. Es sollten die Begriffe eigenes und angeleitetes Recht zum Besitz erwähnt werden. Sodann war das Werkunternehmerpfandrecht aus § 647 BGB als dingliches eigenes Recht zum Besitz zu prüfen. Zu erkennen war, dass dieses nur “ an den Sachen des Bestellers“ entsteht und Besteller in diesem Fall der E als Vertragspartner und nicht die F war. Sodann stellte sich die Frage, ob eine gutgläubiger Erwerb eines Werkunternehmerpfandrechts als Besitzpfandrecht möglich ist. Es war auf die §§ 1257, 1227 BGB einzugehen und zu erörtern, dass § 1257 ein entstandenes Pfandrecht verlangt, hier es aber gerade um die Entstehung geht. Daher war die Frage nach einer analogen Anwendbarkeit aufzuwerfen und diese mit der herrschenden Meinung zu verneinen (arg. keine planwidrige Regelungslücke, Umkehrschluss aus § 366 III HGB als spezielles Handelsrecht, Systemwidrigkeit eines gutgläubigen Erwerbs bei Entstehen kraft Gesetzes). Folglich hatte der U kein Recht zum Besitz. Kurz zu erörtern war noch die Möglichkeit einer Verpflichtungsermächtigung, welche ein eigenes vertragliches Recht zum Besitz gewährt hätte, allerdings von der h. M. nicht anerkannt wird (arg. Umgehung des § 164 II BGB, Vermischung von direkter und indirekter/mittelbarer Stellvertretung). Aus denselben Gründen ist auch eine analoge Anwendbarkeit des § 185 I BGB bezüglich des Entstehens eines Werkunternehmerpfandrechts an Besteller fremden Sachen abzulehnen. Somit ist der Anspruch Anspruch aus § 985 entstanden. Er müsste aber auch durchsetzbar sein. Zu prüfen war ein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 I BGB. Als Anspruch des U gegen die F könnte sich aus den §§ 677683 S. 1, 670 BGB ergeben. Es lag zwar ein sog. auch-fremdes-Geschäft vor, allerdings handelte der U hier um eine eigen vertragliche Verpflichtung gegenüber einem Dritten, dem E zu erfüllen, sodass mit der h. L. ein Fremdgeschäftsführungswille i.e.S. zu verneinen ist (sehr str.). Anschließend waren Ansprüche des U gegen die F aus § 812 I 1 F. 1 BGB und § 812 I 1 F. 2 BGB abzuprüfen. Ein Anspruch aus Leistungskondiktion scheitert an einer Leistung des U der F gegenüber, die Nichtleistunngskondiktion ist wegen ihrer Subsidiarität gegenüber der Leistungskondiktion gesperrt. Ein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 I BGB ist daher mangels Gegenanspruch des U nicht gegeben. Möglicherweise steht dem U aber ein Zurückbehaltungsrecht aus § 1000 BGB zu. dazu müsste sie von der F zu ersetzende Verwendungen getätigt haben. An dieser Stelle ist eine Unterscheidung zwischen notwendigen gem. § 994 BGB und nützlichen Verwendungen gem. § 996 BGB vorzunehmen. Nachdem beide verneint wurden ist auch ein Zurückbehaltungsrecht aus § 1000 BGB nicht gegeben. Mithin ist der Anspruch aus § 985 BGB auch durchsetzbar. Andere Herausgabeansprüche wurden nicht geprüft.
Frage 2:
Es wäre eine Erhebung einer Leistungsklage vor dem örtlich zuständigen Landgericht auf Herausgabe des VW zu erheben, welche durch Einreichung eines Schriftsatzes geschieht. Dadurch wird die Sache anhängig gem. § 253 I ZPO, durch Zustellung des Schriftsatzes an den Klagegegner tritt Rechtshängigkeit ein (261 I ZPO). Bezüglich des Begehrens der F nach Dringlichkeit war auf den einstweiligen Rechtsschutz einzugehen. Dieser differenziert zwischen den Arrestvorschriften der §§ 915 ff. ZPO (dinglicher, sowie persönlicher Arrest) und der einstweiligen Verfügung nach § 935 ZPO. Geht um es die Sicherung einer Geldforderung, so sind die Arrestvorschriften anwendbar, andernfalls finden die §§ 935 ff. ZPO Anwendung. Daher ist hier eine einstweilige Verfügung in Betracht zu ziehen, jedoch war zu erkennen, dass eine Vorwegnahme der Hauptsache droht. Nun stellte die Prüferin die Frage, wann eine Vorwegnahme ausnahmsweise möglich sei. Dies ist der Fall bei eine Herausgabeanspruch wegen Besitzentziehung gem. § 861 BGB bei verbotener Eigenmacht nach § 858 BGB.
Fall 2:
Ansprüche gegen „das Gericht“:
Zu prüfen war ein Anspruch aus § 839 I 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG. Zu Beginn war der richtige Anspruch Gegner zu erörtern. Dies ist das Land als Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts. Zentral war der Anspruchsausschlussgrund des § 839 II BGB zu erkennen und dessen Sinn und Zweck zu nennen (1. Schutz der richterlichen Unabhängigkeit; 2. Sicherung der Rechtskraft von Urteilen).
Ansprüche gegen den ersten Anwalt:
Es kommt ein vertraglicher Schadenersatzanspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB in Betracht. Der Vertrag ist als Geschäftsbesorgungsvertrag mit dienstvertraglichen Charakter gem. § 675 I BGB i.V.m. § 611 ff. BGB einzustufen. Als Pflichtverletzung liegt hier das Nichtnachgehen bezüglich der Hinweise des Gericht vor und das Verstreichenlassen der Berufungsfrist. Wobei an diesem Prüfungspunkt argumentativ auszuholen war und auch gegen eine Pflichtverletzung argumentiert werden konnte, denn das Gericht kennt das Recht (da mihi facta dabo tibi ius), allerdings verlässt sich ein Mandant auf besonderen fachlichen und rechtlichen Sachverstand seines Rechtsbeistandes und dem Anwalt hätte sich die Fehlentscheidung des Gerichts quasi aufdrängen müssen. Das Vertreten müssen gem. § 276 BGB wird nach § 280 I 2 BGB vermutet. Eine Exkulpation ist nicht ersichtlich und nicht möglich.
Ein Schaden nach der Differenzhypothese ist gem. den §§ 249 ff. BGB ebenfalls zu bejahen.
Schließlich stellte die Prüferin noch die Frage nach einem möglichen Ausgleichsanspruch des ersten Anwalts gegen das Gericht/Land. Es war ein Regressanspruch aus § 426 BGB aus einem Gesamtschuldnerausgleich zu erkennen, wobei hier wegen des § 839 II BGB eine sog. gestörte Gesamtschuld vorlag. Die Prüfung schloss schließlich mit der Frage, wie eine gestörte Gesamtschuld aufzulösen sei. Hier war nun der Theorienstreit auszubreiten (vier Theorien). Es ist eine Argumentation ausgehend vom Sinn und Zweck des § 839 II BGB zu empfehlen.

Du suchst die optimale Vorbereitung auf deine Mündliche Prüfung?

Du suchst Gesetzestexte und Kommentare für deine Mündliche Prüfung und den Aktenvortrag? Schau mal bei JurCase.com vorbei, denn da gibt es die gesuchte Fachliteratur zur kostengünstigen Miete oder auch zum Kauf.

jurcase2-ideal-fuer-referendare