Protokoll der mündlichen Prüfung zum 2. Staatsexamen – Berlin vom November 2023

Prüfungsthemen: Zivilrecht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat

1

Endpunkte

5,78

Endnote

6,44

Endnote 1. Examen

7,64

Zur Sache:

Prüfungsthemen: Drei Streitwert-Begriffe, Arbeitsweise des Richters, wenn Akte erlangt, Versäumnisurteil – Tenorbildung, Beweisverfahren

Paragraphen: §63 GKG, §48 GKG, §331 ZPO, §286 ZPO, §823 BGB

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort, hält Reihenfolge ein, verfolgt Zwischenthemen, hart am Fall

Prüfungsgespräch:

Auf unserem Platz lag ein Ausdruck des Kalenderjahres 2023. Der Prüfer schilderte folgenden Sachverhalt: Am 01.09.2023 ging die Klage des Klägers bei der Geschäftsstelle des Landgerichts Berlin ein. Streitgegenständlich ist das vorangegangene Geschehen am 01.12.2022. An diesem Tag suchte der Kläger in Berlin seinen Steuerberater auf. Letzterer verabschiedete sich nach dem Termin vom Kläger und ging zurück in seine Geschäftsräume. Diese befinden sich im Mietshaus des Beklagten, welcher Eigentümer dieser ist. Beim Hinausgehen stürzte der Kläger auf der drei-stufigen Treppe, da es aufgrund der Witterungsverhältnisse an diesem Tag spiegelglatt und kein Streugut auf der Treppe verteilt worden war. Der Kläger zog sich Knochenbrüche zu und musste stationär und ambulant behandelt werden. Der Kläger macht nunmehr 6.000€ Schmerzensgeld und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten geltend. Im Rahmen eines Gesprächs mit Ihnen als Rechtsanwalt/in berichtet der Kläger von einem im schriftlichen Vorverfahren ergangenen Versäumnisurteil. Wir sprachen folgende Themen an: Was veranlassen Sie als Richter/in, der/die die Akte nun bekommt? Es wird die Zuständigkeit überprüft. Wir erwogen, dass drei Bezugspunkte für den Streitwert bestehen (Zuständigkeitsstreitwert, Gebührenstreitwert, Rechtsmittelstreitwert). Zunächst bestimmten wir den Streitwert für die Zuständigkeit gemäß §§ 23, 71 ZPO. Die Forderung i.H.v. 6.000€ übersteigt 5.000€. Dann trafen wir Ausführungen zur Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses. Es wird überprüft, ob der Gerichtskostenvorschuss i.S.v. § 12 GKG bereits bezahlt worden ist. Dies bestimmt sich nach dem vorläufig durch Beschluss festgesetzten Streitwert. Die Bemessung richtet sich nach dem Wert des Streitgegenstands § 63 I 1 GKG i.V.m. § 48 I 1 GKG. Für die Bestimmung der Nebenforderungen bleiben die geforderten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten unberücksichtigt. Dies folgt aus § 43 I GKG und aus § 4 I a.E. ZPO. Sollte das Gericht sich für unzuständig halten, weist das Gericht die Prozessbeteiligten darauf hin. Es verweist durch Beschluss nach § 281 ZPO an das zuständige Gericht. Maßgeblich ist hier § 32 ZPO, wonach der Bezirk der unerlaubten Handlung heranzuziehen ist. Der Fall spielt in Berlin. Gemäß § 271 ZPO wird die Klage an den Beklagten durch das Gericht zugestellt. Das Gericht erwägt, ob es das schriftliche Vorverfahren nach § 276 ZPO oder einen frühen ersten Termin nach § 275 ZPO (Vergleichsbereitschaft, Eindruck von Parteien gewinnen, nur Rechtsfragen, Eile geboten, teure Beweisaufnahme, geringer Streitwert) bestimmt. Wir gingen von der Bestimmung eines schriftlichen Vorverfahrens aus. Entsprechende Gründe hierfür sind vorgetragen worden (Informationen sammeln, komplexer Sachverhalt, Einholung von Sachverständigengutachten). Wir erörterten, dass das Gericht den Beklagten mit der Zustellung der Klage innerhalb von zwei Wochen zur Verteidigungsanzeige auffordert. Dabei handelt es sich um eine Notfrist, die nicht verlängerbar ist. Der Sachverhalt wurde um die folgenden Daten ergänzt. Die Zustellung veranlasste der Richter am 02.10.2023 mit der entsprechenden Aufforderung. Bis zum 23.10.2023 veranlasste der Beklagte nichts. Es erging ein Versäumnisurteil gemäß § 331 ZPO gegenüber dem Beklagten. Wir haben die Voraussetzungen für den Erlass eines solchen erörtert. Säumnis lag in Gestalt der Nichtanzeige der Verteidigung (neben Nichtverhandeln, Nichterscheinen) vor. Ein Unzulässigkeitsgrund für die Entscheidung nach §§ 335, 337 ZPO besteht nicht. Das Gericht prüft vor Erlass des VU die Schlüssigkeit der Klage. Es handelt sich damit um ein Sachurteil, wobei die Zulässigkeit der Klage von Amts wegen geprüft wird. Im Folgenden gingen wir auf die Begründetheit der Klage ein. Als Anspruchsgrundlage erwogen wir § 280 I BGB aus dem Mietverhältnis und § 823 I BGB. Wir stellten fest, dass es bei § 823 I BGB der positiven Feststellung des Verschuldens bedarf und aufgrund von § 280 I 2 BGB das Verschulden i.S.v. § 276 BGB vermutet wird. Die Rechtsgutsverletzung lag in Gestalt von Körper und Gesundheit vor. Das Unterlassen des Ausstreuens von Streugut stellt die Verletzungshandlung des Beklagten dar. Dies ist eine Sorgfaltspflichtverletzung. Auf Nachfrage ist die Begrifflichkeit der Verkehrssicherungspflicht geläufig. Der Sachverhalt ist um die nachfolgenden Informationen ergänzt worden: Das VU ist dem Beklagten am Mittwoch, den 25.10.2023 und dem Kläger am 27.10.2023 zugestellt worden. Der Einspruchsschriftsatz von Seiten des Beklagten ging am 09.11.2023 ein. Der Einspruch ist in §§ 338 – 342 ZPO geregelt. Nach § 341 ZPO hat das Gericht die Statthaftigkeit, die Form und die Frist des eingelegten Einspruchs zu prüfen. Für den Fristbeginn hinsichtlich der Einspruchsfrist i.S.v. § 339 ZPO kommt es auf die letzte Zustellung des VU an. Dies folgt aus § 310 III ZPO, da die wirksame Zustellung die Bekanntgabe darstellt und damit die Verkündung ersetzt. Fristende der zwei-wöchigen Frist bildet der 10.11.2023, womit die Frist am 09.11.2023 gewahrt war. Die Einreichung des Einspruchs erfolgt durch das beA gemäß § 130d ZPO. Der Tenor bei Fristablauf wäre: „Der Einspruch wird verworfen.“ Anknüpfungspunkt an den Wortlaut bietet § 345 ZPO. Die Verwerfung des Einspruchs erfolgt durch Urteil gemäß § 341 II ZPO. Für ein Vorgehen gegen diese Entscheidung bliebe auf Nachfrage die Stellung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO. Dafür müsste die Partei i.S.v. § 294 ZPO durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft machen, dass sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Notfrist einzuhalten. Der entsprechende Fristenlauf des Antrags beginnt mit Wegfall des Hindernisses, mithin mit Kenntnis vom Ablauf der Einspruchsfrist. Abschließend gingen wir auf Nachfrage auf die Beweisbarkeit ein. Wir nannten die Möglichkeit der Parteivernehmung nach §§ 445, 447 ZPO, da kein anderer Zeuge des Geschehens benannt werden kann. Dies bezieht sich auf die Konstellation des 4-Augenprinzips, was sachdienlich erscheint. Entsprechend ist die Darlegungs- und Beweislast zu beachten. Es besteht von Seiten des Beklagten die Möglichkeit mit „Nichtwissen“ zu bestreiten, da nur die eigene Wahrnehmung zum Gegenstand gemacht werden kann. Es gilt der sog. „An Beweis“. Das Gericht kann das persönliche Erscheinen anordnen nach § 141 ZPO (was als Frage eine Parallele zum Strafrechts-Gespräch bildete). Das Gericht entscheidet nach freier Überzeugung i.S.v. § 286 ZPO im Rahmen der freien Beweiswürdigung. Es gilt das Strengbeweisverfahren. Sollte der Beklagte bestreiten, gilt das Günstiger Prinzip. Danach hat jede Partei die für sie günstigen Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen. Wir benannten den Prima-facie-Beweis, als Beweis des ersten Anscheins. Durch die Darlegung eines atypischen Verlaufs kann die gesetzliche Vermutung i.S.v. § 292 ZPO erschüttert werden. Dem Kläger ist aus anwaltlicher Sicht zur Erweiterung seiner Klage, um einen Feststellungsantrag zu raten mit dem Inhalt einer Schadensersatzforderung „für alle künftigen Ansprüche … aus dem Ereignis am 01.12.2022“. Hintergrund ist die Hemmung der Verjährung nach § 204 BGB, wobei die Verjährungsfrist 30 Jahre nach § 197 I Nr. 1 BGB beträgt.

Bei den obigen anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem zweiten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Berlin im November 2023. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.