Protokoll der mündlichen Prüfung zum 2. Staatsexamen – Berlin vom November 2023

Prüfungsthemen: Öffentliches Recht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat

1

Endpunkte

11,26

Endnote

12,18

Endnote 1. Examen

9,63

Zur Sache:

Prüfungsthemen: Aktuelle politische Themen, Straßenverkehrsrecht, Vereinsverbot

Paragraphen: §45 StVO, §3 VereinsG, §9 GG, §63 VereinsG, §50 VwGO

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort, hält Reihenfolge ein, halt am Fall

Prüfungsgespräch:

Der Prüfer stieg mit einzelnen, kleinen Fragen in die Prüfung ein. Diese standen in keinem Zusammenhang, außer dass sie an Themen der vorangegangenen Prüfungen anknüpften. Beispielsweise fragte er an den Strafrechtsfall angelehnt, aus welchem Rechtssatz die Unschuldsvermutung folge. Hier wollte er nur die Menschenwürde, Art. 1 GG, hören. Damit war er zufrieden und wandte sich an die nächste Kandidatin. Einsetzende Erläuterungen, warum das so sei, was die Menschenwürde ist, warum die Unschuldsvermutung Teil ihrer ist, unterband er sofort. Wie sich aus den Protokollen ergibt, verfolgt er diesen Ansatz kleinerer Fragen in Anlehnung vorangegangener Prüfungsthemen häufiger. Auf diese Art der Fragen und ihre Inhalte kann man sich nicht vorbereiten. Man sollte daher nur wissen, dass es diesen Prüfungseinstieg gibt, und darf davon nicht überrascht sein, sondern muss spontan reagieren können. Nach den Einstiegsfragen wollte der Prüfer wissen, welches politische Thema uns einfiele, mit welchem die Bundesinnenministerien zuletzt in den Medien präsent war. Reihum musste jeder ein Thema nennen, bis bei der fünften Antwort das Thema genannt wurde, auf das er hinauswollte (Vereinsverbote). Wenn andere Themen als Antwort genannt wurden, nahm er das aber gleichwohl positiv auf, lobte sogar ausdrücklich, dass das ein spannendes Thema sei, welches er unbedingt mal zum Prüfungsgegenstand machen sollte. Wenn jedoch Themen genannt wurden, die für ihn nicht hinreichend aktuell waren, kritisierte er allerdings die Antwort als alten, irrelevanten Hut. Zum Thema Vereinsverbote stellte er anschließend allgemein politische, nicht juristische Fragen wie aus welchen Szenen die verbotenen Vereine stammten. Insgesamt war also kein Detailwissen verlangt. Mehrere Minuten lang wurden auch keine juristischen Fragen gestellt. Der Prüfer wollte vielmehr abchecken, ob wir politisch interessierte Menschen sind, die die tagesaktuellen Themen verfolgen und sich wenigstens oberflächlich in ihnen politisch auskennen. Erst jetzt begann die eigentliche „juristische Prüfung“, die er geplant hatte. Die gesamte „juristische Prüfung“ beschäftigte sich ausschließlich mit Fragen zum Verwaltungsakt (die Arten von Verwaltungsakten, behördliche Zuständigkeiten, das Verhältnis verschiedener Verwaltungsakte) und zur Zulässigkeit (gerichtliche Zuständigkeiten, Klageart, Klagebefugnis, Vorverfahren). Reihum fragte der Prüfer nun Fragen zum Vereinsverbot: – Ein Vereinsverbot beruht auf welcher Rechtsgrundlage? § 3 I 1 VereinsG – Was für eine Art von Verwaltungsakt ist das Vereinsverbot? Feststellend oder gestaltend? Das Vereinsverbot nach § 3 I 1 VereinsG selbst ist ein feststellender VA, der jedoch zumeist mit einer Leistungsverfügung gemäß § 3 I 2 VereinsG verbunden wird. – Wie ist das Verhältnis von § 3 I 1 VereinsG und Art. 9 II GG? Wie kann es eine solche Ermächtigungsgrundlage im einfachen Recht geben, wenn das Grundgesetzt selbst den Verein schon für verboten erklärt (Wortlaut: „sind verboten“)? Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit (Art. 20 Abs. 3 GG) ist eine konstitutive Entscheidung einer zuständigen Behörde zur Feststellung des Verbots im Einzelfall erforderlich. Die §§ 3 ff. VereinsG gestalten das in Art. 9 Abs. 2 GG vorgesehene Vereinsverbot aus, welches die insoweit zuständige Behörde durch Verfügung feststellen muss. – Mit was für einer Klage muss man sich vor welchem Gericht gegen ein Vereinsverbot wehren? Anfechtungsklage, § 42 I Alt. 1 VwGO (zitiert genau bei ihm!), vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 50 I Nr. 2 VwGO – Ist ein Vorverfahren erforderlich? Nein, gemäß § 68 I 2 Nr. 1 VwGO nicht, denn nach § 3 II 1 Nr. 2 VereinsG ist das Bundesinnenministerium, eine oberste Bundesbehörde zuständig – Ist das BVerwG aber auch dann noch zuständig, wenn man sich gegen Maßnahmen zum Vollzug des Verbots wehrt? Nein, weil das nicht ausdrücklich vom Wortlaut des § 50 VwGO erfasst wird, gilt hier die allgemeine Zuständigkeit des VG nach § 45 VwGO – Maßnahmen zum Vollzug des Verbots hängen in ihrer Rechtmäßigkeit von der Rechtmäßigkeit des Vereinsverbots ab. Wie kann hier ein Auseinanderfallen der Entscheidungen von BVerwG und VG vermieden werden? Verfahren nach § 6 I VereinsG Insgesamt wurde damit ein nicht allen geläufiger Themenkomplex abgeprüft. Nutzt die Zeit, in der ihr nicht gefragt werdet, und scannt die Rechtsmaterie so schnell wie möglich ab. So gibt beispielsweise § 6 I VereinsG die Antwort auf eine seiner Fragen vor. Die Norm ist nicht schwer zu durchdringen. Doch man muss sofort anfangen, die Normen des Prüfungsgegenstandes zu lesen, denn ansonsten kann man nicht auf die Lösung kommen (oder man kennt die Norm). Der nächste Themenkomplex orientierte sich an einem kleinen Fall zum Straßenverkehrsrecht. Dass der Prüfer gerne Straßenrecht prüft, geht aus den Protokollen hervor. Straßenverkehrsrecht scheint aber auch nicht zu vernachlässigen zu sein. Der Fall lautete: Ein Mann wohnt in einer Parkverbotszone. Laut Zusatzschild darf jedoch auf extra markierten Flächen geparkt werden. Genau vor seinem Haus befand sich stets eine solche Fläche, auf der auf die Straße aufgetragene Markierungen in weißer Farbe einen Parkplatz markierten. Dort parkte stets seine Freundin. Nach der Rückkehr aus dem Urlaub ist die weiße Farbe entfernt, also kein Parkplatz mehr markiert. Seine Freundin kann ihn nicht mehr besuchen kommen und der Mann fragt nach seinen Rechtsschutzmöglichkeiten. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit fragte der Prüfer: – Wie ist das Parkverbot rechtlich zu qualifizieren? Der markierte Parkplatz war kein Teil des Verwaltungsakts Parkverbotszone (inhaltliche Ausgestaltung dessen, man darf nirgendwo parken außer hier), sondern ein danebenstehender Verwaltungsakt beruhend auf der Markierung, nicht auf dem Zusatzschild. Das nun folgende Parkverbot für diese Fläche stellt eine Allgemeinverfügung, § 35 S. 2 VwVfG, dar und keine Rücknahme/Widerruf der vorigen Parkerlaubnis. Der Prüfer glaubt nicht, dass die Behörde einen auf Aufhebung der letzten Regelung gerichteten Willen hat, wenn sie eine neue straßenverkehrsrechtliche Regelung erlässt. Hierbei ist mir unklar, was dann mit dem vorigen Verwaltungsakt Parkerlaubnis geschieht. – Auf welcher Ermächtigungsgrundlage beruht das Parkverbot? § 45 I 1 StVO – Ab wann ist das Parkverbot wirksam? Mit Bekanntgabe gemäß § 43 I VwVfG. Diese erfolgt durch das Abziehen der bisherigen weißen Farbe/Markierung. Es gibt einen Streit, ob die Bekanntgabe in dem Moment der Entfernung generell für jedermann erfolgt oder individuell bei persönlicher Kenntnisnahme der Entfernung. – Welche behördlichen Zuständigkeiten sind herbei relevant? Die Straßenverkehrsbehörde erlässt den Verwaltungsakt Parkverbot gemäß § 45 I 1 StVO, aber für dessen Bekanntgabe durch Markierungsarbeiten auf der Straße ist die Trägerin der Straßenbaulast gemäß § 45 V 1 StVO verantwortlich. Diese Erkenntnis bewegte ihn emotional offensichtlich. Er rief freudig, aber mit Blick in unsere wenig beeindruckten Gesichter auch voller Unverständnis aus, ob wir denn gar nicht verstehen könnten, wie großartig und spannend es ist, dass ein und derselbe Verwaltungsakt von einer Behörde erlassen und dennoch von einer anderen Behörde bekannt gegeben werden kann. Und nein, das kann ich bis heute nicht. – Woraus folgt die Klagebefugnis? Aus der allgemeinen Handlungsfreiheit, wobei es dem Prüfer wichtig war, dass der Mann nicht Adressat des Verwaltungsaktes ist. Dennoch schränkt jedes straßenverkehrsrechtliche Verbot irgendwo in Deutschland die Handlungsfreiheit eines jeden irgendwo in Deutschland ein.

Bei den obigen anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem zweiten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Berlin im November 2023. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.