Protokoll der mündlichen Prüfung zum 2. Staatsexamen – NRW im August 2016

Bei dem nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem zweiten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in NRW im August 2016. Das Protokoll stammt auf dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.

Prüfungsthemen: Öffentliches Recht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat 1 2 3 4 5 6
Vorpunkte 39 39 58 66 43 45
Aktenvortrag 9 4 7 12 8 7
Prüfungsgespräch 9 6 9 11 9 9
Endnote 6,52 5,12 7,75 9,45 6,72 6,8
Endnote (1. Examen) 7,98  ?  ?  ?  ?  ?

Zur Sache:

Prüfungsstoff: aktuelle Fälle

Prüfungsthemen: Burka-Verbot, ordnungsbehördliche Verordnung, Fortsetzungsfeststellungsklage

Paragraphen: §5 VwGO, §177 GVG, §4 GG

Prüfungsgespräch: Frage-AntwortIntensivbefragung Einzelner

Prüfungsgespräch:

Der Prüfer leitete das Prüfungsgespräch mit der aktuellen Thematik „Burka-Verbot“ ein: Wir sollten uns vorstellen, wir seien Richter am Verwaltungsgericht und wollten eine Zeugin vernehmen, die in Vollverschleierung erscheint.
Als Einstiegsfrage fragte der Prüfer zunächst, in welcher Besetzung das Verwaltungsgericht entscheidet. Das Verwaltungsgericht entscheidet in der Besetzung von drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern, es sei denn – was der Regelfall ist – die Kammer hat den Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen, § 5 III 1, 6 VwGO.

Dann ging es zurück zum Fall:
Es stellte sich hier die Frage, wieso die Vollverschleierung bei der Zeugenvernehmung überhaupt ein Problem darstellen könnte. Wir stellten heraus, dass zunächst die Feststellung der Identität, insbesondere aber die Beweiserhebung erschwert sein würde, weil der Richter in hohem Maße auch aufgrund der Gestik der Zeugin beurteilt, ob sie selbst glaubwürdig und ihre Aussage glaubhaft ist.
Nachdem wir dies herausgestellt hatten, fragte der Prüfer nach einem normativen Anknüpfungspunkt für diese Argumentation. Wir kamen schließlich auf den in § 96 VwGO normierten Unmittelbarkeitsgrundsatz.

Der Prüfer gab nun vor, dass wir als Richter die Frau nun darum gebeten hätten, ihre Verschleierung abzulegen, diese der Aufforderung aber nicht nachgekommen sei. Er fragte, was man in einem solchen Fall unternehmen könne.

In Betracht kommen hier Maßnahmen nach §§ 176 ff. GVG. Die Ordnungsmaßnahme ist zunächst anzudrohen und schließlich anzuwenden. Der Prüfer fragte dann noch, wie man gegen eine solche Ordnungsmaßnahme vorgehen könne. Gegen die Ordnungsmaßnahme kann gemäß § 181 I GVG Beschwerde eingelegt werden.

Dann stellte er die Frage, welches Problem sich denn hinsichtlich einer solchen Ordnungsmaßnahme in diesem Fall stellen würde. Der Prüfer wollte natürlich auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme hinaus. Hier sollte insbesondere das Grundrecht der Zeugin auf Religionsfreiheit (Art. 4 GG) genannt werden und die Tatsache, dass in Art. 4 GG keine ausdrücklichen Schranken vorgesehen sind – das Grundrecht also nur durch verfassungsimmanente Schranken eingeschränkt werden kann. Eine solche verfassungsimmanente Schranke dürfte wohl ein funktionierendes Rechtssystem sein (Art. 20 III GG). Wenn eine Beweisaufnahme nicht ordnungsgemäß ablaufen kann, weil ein Richter die Glaubwürdigkeit einer Zeugin und die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage nicht ordnungsgemäß beurteilen kann, kann es durchaus zu einer falschen richterlichen Entscheidung kommen. Der Prüfer sagte, dass man so argumentieren könne, ließ das Ergebnis an dieser Stelle jedoch offen.

Dann stellte der Prüfer einen weiteren Fall:
Er verwies darauf, dass in Australien an den Strandpromenaden ein Alkoholverbot gelte und fragte, ob eine solche Maßnahme auch in Deutschland denkbar wäre, wenn es zu Pöbeleien und Verunreinigungen komme.

Zunächst wurde gefragt, wie man überhaupt ein solches Alkoholverbot regeln könne. Der Prüfer wollte hier auf die ordnungsbehördliche Verordnung (§ 25 OBG NRW) hinaus. Zudem sollte herausgestellt werden, dass der Rat als Vertretung der Gemeinde für den Erlass einer ordnungsbehördlichen Verordnung zuständig ist, § 27 IV OBG NRW.

Dann sollte der Begriff „Gefahr“ i.S.d. § 27 I OBG definiert werden. Gemeint ist hier im Gegensatz zu 14 I OBG eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Eine abstrakte Gefahr ist eine nach allgemeiner Lebenserfahrung oder den Erkenntnissen fachkundiger Stellen mögliche Sachlage, die im Falle ihres Eintritts eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt.

Dann stellte sich die Frage, ob in unserem Fall überhaupt eine solch abstrakte Gefahr vorliegt.

Letztlich ist nach der Definition aber erforderlich, dass davon ausgegangen werden kann, dass jede Person, die Alkohol trinkt, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt. Dies ist aber weder nach allgemeiner Lebenserfahrung noch nach den Erkenntnissen fachkundiger Stellen der Fall. Im Ergebnis wird man also eine abstrakte Gefahr hier verneinen müssen.

Weiter ging es mit der Frage, was denn der Unterschied zwischen einer ordnungsbehördlichen Verordnung, einer Allgemeinverfügung und einem Verwaltungsakt sei. Insoweit verweise ich auf die wohl jedem bekannte Tabelle (konkret/abstrakt/individuell/generell). Es sollte herausgestellt werden, dass es sich bei der ordnungsbehördlichen Verordnung um eine abstrakt-generelle Regelung und damit um eine Rechtsnorm handelt.

In diesem Zusammenhang fragte der Prüfer auch, um was es sich bei dem an die Hells Angels und Bandidos gerichteten „Kuttenverbot“ handelt. Auch dies dürfte eine ordnungsbehördliche Verordnung darstellen, da es sich an eine unbestimmte Zahl von Fällen und eine unbestimmte Zahl von Personen richtet.

Der Prüfer gab nun vor, dass die Stadt Köln eine ordnungsbehördliche Verordnung erlassen habe. Er fragte nun, wo eine solche bekanntgemacht werden würde. Möglich ist hier einmal das Internet, insbesondere aber das Amtsblatt und die Tageszeitung.

Er stellte weiter die Frage, ob und wie man gegen eine ordnungsbehördliche Verordnung vorgehen könne.

Da eine Anfechtungsklage gemäß § 42 I Alt. 1 VwGO mangels Verwaltungsaktqualität der ordnungsbehördlichen Verordnung ausscheidet, kommt nur eine Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO in Betracht. Zum einen stellt sich hier aber wohl schon die Frage, ob ein hinreichend konkretes Rechtsverhältnis gegeben ist. Zum anderen dürfte das Rechtsschutzbedürfnis für eine Feststellungsklage fehlen, da es nicht unzumutbar ist, abzuwarten, bis mithilfe einer Ordnungsverfügung aufgrund der ordnungsbehördlichen Verordnung (als Teil der öffentlichen Sicherheit) gegen eine Person vorgegangen wird, z.B. im Wege eines Bußgeldes oder eines Platzverweises.

Nun sollten wir annehmen, dass aufgrund einer ordnungsbehördlichen Verordnung ein Platzverweis ausgesprochen wurde. Es stellte sich die Frage nach dem Vorgehen gegen diesen Platzverweis. Da es sich bei dem Platzverweis um einen Verwaltungsakt handelt, ist die Anfechtungsklage gemäß § 42 I Alt. 1 VwGO die statthafte Klageart. Das Problem liegt hier jedoch darin, dass der Platzverweis gemäß § 34 I PolG NRW i.V.m. § 24 Nr. 13 OBG nur für eine gewisse Zeit erteilt wird („vorübergehend“). Nach Ablauf dieser Zeit erledigt sich somit auch der Verwaltungsakt. Deshalb ist der Klageantrag in diesem Fall auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umzustellen bzw. von vornherein Fortsetzungsfeststellungsklage zu erheben, da die Erledigung meist schon vor Klageerhebung eingetreten sein dürfte, § 113 I 4 VwGO (analog). Schließlich sollten wir noch die Fallgruppen nennen, aus denen sich ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergeben kann (Wiederholungsgefahr/Rehabilitation/Präjudiz/tiefgreifender Grundrechtseingriff), wobei das Präjudizinteresse nicht bei einer Erledigung vor Klageerhebung in Betracht kommt. In diesem Fall kann der Kläger nämlich sofort seinen Anspruch bei den ordentlichen Gerichten verfolgen.

Abschließend ging es noch darum, dass das Verwaltungsgericht grundsätzlich durch Urteil entschiedet, § 107 VwGO. Der Prüfer wollte dann noch darauf hinaus, dass auch die Möglichkeit besteht, durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, § 84 VwGO.

Gegenstand der Prüfung war dann auch, was man gegen einen Gerichtsbescheid unternehmen kann, was sich durch einfaches Lesen des § 84 II VwGO beantworten lässt. Insbesondere sollte hier herausgestellt werden, dass gem. § 84 II Nr. 5 VwGO innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids mündliche Verhandlung beantragt werden kann und gem. § 84 III VwGO der Gerichtsbescheid als nicht ergangen gilt, wenn rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt wird. Der Prüfer fragte zudem, ob der Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung zurückgenommen werden kann, bzw. was dagegen spricht. Dagegen spricht, dass es sich bei diesem Antrag um eine Prozesshandlung handelt. Prozesshandlungen sind grundsätzlich bedingungsfeindlich und unwiderruflich.

Damit war die Prüfung beendet.

Ich wünsche Euch ganz viel Erfolg und vor allem – was noch viel wichtiger ist – ganz viel Glück.

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